Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1909/0276

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
268

Monatshefte für Kunstwissenschaft

Körpers, auch in der Haltung und Stellung der Oberschenkel — der rechte mehr
vertikal, der linke etwas mehr schräg vorgesetzt — sowie in der Lage der Schultern,
deren rechte erhoben, die linke gesenkt ist, in der bis ins Detail entsprechenden Bildung
der Beckengegend." Die Verschiedenheiten sind jedoch groß: Die Unterschenkel des
Isaak sind gekreuzt, die des Ilioneus liegen nebeneinander; die antike Figur ist bedeutend
mehr nach links und vorn gebeugt und in den Hüften stark gedreht; Brust und Bauch
sind eingezogen, während sie beim Isaak herausgedrückt sind; endlich geht der rechte
Arm nach oben, der linke seitwärts, um sich an der Aktion des rechten zu beteiligen;
bei Ghiberti sind beide Arme auf den Rüchen gebunden. Die ganze Ähnlichkeit ist,
daß beide Male ein nackter knieender Jüngling dargestellt ist, der sich nach rechts
neigt. Daß Ghiberti zur Bildung des Körpers die Antike zum Vorbild gehabt hat ist
wohl sicher; nackte knieende Jünglinge mit leichter Neigung in den Hüften gibt es und
gab es damals auf antiken Reliefs, Gemmen und als Freistatuen in Menge. Die Über-
einstimmung aber speziell mit dem Ilioneus ist so gering, daß er — die beiden Kunst-
werke an sich betrachtet — selbst als beliebiges Exemplar des eventuell vorbildlichen
Typus ungünstig gewählt sein würde.
Aber der Ilioneus hat eine Geschichte. Er wird von Aldrovandi 1550 in der
Sammlung Rodolfo Pio da Carpis erwähnt. Ein Stück dieser enorm reichen Sammlung,
(ihre Beschreibung nimmt bei Aldrovandi über 25 Seiten, also etwa den achten Teil
seines Werkes ein) das „Letto di Policleto", kam mit mehreren anderen in den Besitz
Alfons II. von Ferrara. Das „Letto" stammte aus dem Besitz Giovanni Gaddis, der
es von dem Erben Ghibertis erworben hatte. Da nun auch der Ilioneus von Carpi
nach Ferrara verkauft wurde, könnte er ebenso aus dem Besitz Gaddis und weiterhin
aus dem Ghibertis stammen.
Der Schluß, daß eine Antike, deren Geschicke später mit denen einer anderen
verknüpft sind, auch die früheren Schicksale dieses anderen Stückes geteilt habe,
ist bedenklich; er wäre zulässig, wenn man nadiweisen könnte, daß die Sammlung
Carpi im wesentlichen die frühere Sammlung Gaddi und diese wieder die Sammlung
Ghiberti umfaßte; daß ist im allgemeinen nicht anzunehmen, da die Sammlungen
des XV. und XVI. Jahrhunderts, soweit man nach den Inschriften urteilen kann,
in den seltensten Fällen en bloc verkauft oder vererbt wurden. Außerdem fehlt
jede Nachricht über das Dasein des Ilioneus vor 1550, abgesehen von der vermeint-
lichen Anlehnung Ghibertis an den Torso. Die entfernte Ähnlichkeit des Ghibertischen
Isaak mit der Münchener Figur und die entfernte Möglichkeit, daß diese im Besitz
des Künstlers gewesen ist, geben zusammengenommen wohl keine so große Wahr-
scheinlichkeit, daß man die Ergebnisse der Untersuchung in den Tatsachenbestand
der Renaissancegeschichte aufnehmen möchte.
Im Gegenteil, die ausgesprochen männliche, harte Muskulatur des Isaak weist
auf ein anderes Vorbild als den zarten Knaben in München hin; eher als der Ilioneus
könnte noch der muskulöse Satyrtorso der Uffizien, den Schlosser herangezogen hat1),
Vorbild gewesen sein; man wird in einem der zahlreichen nackten jugendlichen Torsi

') Österr. Jahrbuch XXIV, 1903, S. 151.
 
Annotationen