Der Meister des Berliner Martin
:: und Hans von Heilbronn ::
Von Paul Ferd. Schmidt
I.
Die Holzstatue des heiligen Martin im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin (Kat.-
Nr. 362) hat schon einmal die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Friedrich Haack hat
sie mit dem Laurentius des Germanischen Museums (Kat.-Nr. 315) zusammengebracht
und gegen die Zusammenstellung mit der „Nürnberger Madonna" entschieden, und mit
Recht, protestiert1). Aber er hat die Spur nicht weiter verfolgt und auch weitergehende
stilistische Schlüsse unterlassen; es blieb also bei der Berliner Benennung: „Schwäbisch
um 1510"-). (Abb. 1. Die Aufnahme ist ungünstig, die richtige Ansicht wäre
von unten).
Da es sich um ein Werk ersten Ranges handelt, verlohnt es sich, zunächst bei
ihm zu verweilen und sich nach genauerer Kenntnis seiner Art um verwandte
Schöpfungen umzusehen.
Der heilige Martin ist ungefähr in Lebensgröße als Standfigur dargestellt. Er
beschäftigt sich damit, den Mantel mit seinem Schwerte zu teilen; gemäß dem strengen
Charakter der süddeutschen Stand- oder Schreinfigur, dem hier noch immer ein Rest
gotisch-architektonischer Gebundenheit anhaftet, ist aber nicht eigentlich die Bewegung
gegeben, sondern ein Augenblick des Innehaltens mitten in der Geste. Dieses fixierte
Bewegungsmoment liegt im plastischen Charakter des Künstlers, dessen Tempo über-
haupt ein allegro ritardando ist.
Prüft man die ganze Figur durch, so ergibt sich eine vollkommene Konsequenz
dieses plastischen Charakters. Das Standmotiv mit dem leicht seitwärts gesetzten Spiel-
bein (man denkt fast an Lysipps Apoxyomenos) ist gut und körperlich überzeugend;
es liegt etwas Adliges, ja Königliches in seinem Auftreten. Und die vornehme Ge-
lassenheit des Mannes findet ihren krönenden Ausdruck in dem Haupte, das leicht und
frei getragen wird und mit unerschrockenem Ausdruck ein wenig zur linken Seite ge-
wendet, dem Nahenden fest entgegenblickt.
Während sich dergestalt als kennzeichnende Merkmale der Figur gelassene Festig-
keit und eine vornehme Selbständigkeit offenbaren, spiegeln auch die rein formalen
Details ihren Charakter wieder. Die Bewegung der Arme dient der Entfaltung des
einen großen Gewandmotives: der Mantel, von der Linken an einem Zipfel empor-
gehalten, bildet ein System bauschiger Falten, deren Kurven zusammenlaufen und in
9 Repertorium XXIX, S. 245. Der hl. Martin ist aus Lindenholz, unbemalt, 163 cm hoch,
mit unbedeutenden Ergänzungen (Schwert und linker Fuß); der Laurentius ebenfalls jetzt un-
bemaltes Lindenholz, 157 cm hoch.
2) Daß von Nürnberger Art, wie der Skulpturenkatalog des Germanischen Museums meint,
keine Rede sein kann, ergibt sich aus dem Folgenden von selbst.
:: und Hans von Heilbronn ::
Von Paul Ferd. Schmidt
I.
Die Holzstatue des heiligen Martin im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin (Kat.-
Nr. 362) hat schon einmal die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Friedrich Haack hat
sie mit dem Laurentius des Germanischen Museums (Kat.-Nr. 315) zusammengebracht
und gegen die Zusammenstellung mit der „Nürnberger Madonna" entschieden, und mit
Recht, protestiert1). Aber er hat die Spur nicht weiter verfolgt und auch weitergehende
stilistische Schlüsse unterlassen; es blieb also bei der Berliner Benennung: „Schwäbisch
um 1510"-). (Abb. 1. Die Aufnahme ist ungünstig, die richtige Ansicht wäre
von unten).
Da es sich um ein Werk ersten Ranges handelt, verlohnt es sich, zunächst bei
ihm zu verweilen und sich nach genauerer Kenntnis seiner Art um verwandte
Schöpfungen umzusehen.
Der heilige Martin ist ungefähr in Lebensgröße als Standfigur dargestellt. Er
beschäftigt sich damit, den Mantel mit seinem Schwerte zu teilen; gemäß dem strengen
Charakter der süddeutschen Stand- oder Schreinfigur, dem hier noch immer ein Rest
gotisch-architektonischer Gebundenheit anhaftet, ist aber nicht eigentlich die Bewegung
gegeben, sondern ein Augenblick des Innehaltens mitten in der Geste. Dieses fixierte
Bewegungsmoment liegt im plastischen Charakter des Künstlers, dessen Tempo über-
haupt ein allegro ritardando ist.
Prüft man die ganze Figur durch, so ergibt sich eine vollkommene Konsequenz
dieses plastischen Charakters. Das Standmotiv mit dem leicht seitwärts gesetzten Spiel-
bein (man denkt fast an Lysipps Apoxyomenos) ist gut und körperlich überzeugend;
es liegt etwas Adliges, ja Königliches in seinem Auftreten. Und die vornehme Ge-
lassenheit des Mannes findet ihren krönenden Ausdruck in dem Haupte, das leicht und
frei getragen wird und mit unerschrockenem Ausdruck ein wenig zur linken Seite ge-
wendet, dem Nahenden fest entgegenblickt.
Während sich dergestalt als kennzeichnende Merkmale der Figur gelassene Festig-
keit und eine vornehme Selbständigkeit offenbaren, spiegeln auch die rein formalen
Details ihren Charakter wieder. Die Bewegung der Arme dient der Entfaltung des
einen großen Gewandmotives: der Mantel, von der Linken an einem Zipfel empor-
gehalten, bildet ein System bauschiger Falten, deren Kurven zusammenlaufen und in
9 Repertorium XXIX, S. 245. Der hl. Martin ist aus Lindenholz, unbemalt, 163 cm hoch,
mit unbedeutenden Ergänzungen (Schwert und linker Fuß); der Laurentius ebenfalls jetzt un-
bemaltes Lindenholz, 157 cm hoch.
2) Daß von Nürnberger Art, wie der Skulpturenkatalog des Germanischen Museums meint,
keine Rede sein kann, ergibt sich aus dem Folgenden von selbst.