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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

bogene Nase und das stark nach vorne gezogene leicht gerundete Kinn; die flache
Stirn, der Nasenrücken und das Ende des Kinnes liegen nahezu in einer Schicht. Der
Typus der Züge läßt fast an ein slavisches Modell denken, ein Eindruck, der durch
die starken Backenknochen noch verstärkt wird, die Ober- und Untergesicht und
Wangenflächen, plastisch fast übergangslos, in große getrennte Flächen zerlegen. Wie
das Gesicht entbehren auch die Hände der Weichheit und zarteren Durchbildung, ja
die Konturen der Finger erscheinen noch härter und schärfer. Als dünn und knochig
wirken auch die eng an den Leib genommenen Arme mit ihren schwachen Gelenken
durch die Ärmel hindurch. So ist die ganze Masse der Gestalt eng und ohne Ein-
schnitte zusammengehalten. Nur das Kind ist, wie zur Betonung seiner selbständigen
Existenz, abgerückt und in eine etwas geneigte Achse gestellt, daß ein tiefer Einschnitt
zwischen seinem Körper und dem der Mutter entsteht. Sein Kopf ist runder als der
der Maria, mit kurzen, braunen Löckchen bedeckt, die einzelnen Partien des Gesichts
und der Hände doch ein wenig elastischer und minder scharf als bei der Mutter durch-
gebildet.
Im Gegensatz zu den graden Umrißlinien des Oberkörpers ist der Unterkörper
der Figur belebt vom reichen Faltenzug des Mantels. Das Gewand darunter stößt in
parallelen scharfrippigen Falten, nur unten in einer Knickung gebrochen, auf den
Boden auf. Rechts entstehen die parallelen Stufenfalten des Mantels, indem ihn die
Linke, die das Kind trägt, nach oben zieht.
Den Wert dieser reizvollen Figur erhöht die Erhaltung ihrer alten Bemalung.
Das Untergewand der Madonna ist goldbraun mit etwas dunkleren Borten besetzt.
Der Mantel in seinem Blaugrün, dessen Pracht jetzt etwas verblaßte über das Ganze
verstreute goldene Kreise und Quadrate erhöhten, zusammen mit dem Fleischrot
des Futters bildet eine kompakte Masse tiefer, schwerer Farben, die gleichsam als
Sockel wirkt für die hellere obere Hälfte, die von dem lichteren Braun des Unterge-
wandes bis zum Weiß des Kopftuches sich immer weiter aufhellt. Das Kind trägt ein
Kleid von dunklem Violett, mit braungoldenen Sternen und Säumen verziert, wird
also durch die Farbe mit der Hauptmasse zusammengehalten. Die Bemalung der
Gesichter ist, von Augen und Augenbrauen abgesehen, fast nur angedeutet in einem
gelbbräunlichen Fleischton mit grünlichen Lichtern. Lippen- und Wangenrot sind hel
und nur leicht angedeutet.
Eine rund um den Kopf der Maria über der Stirnlinie hinlaufende Rille deutet
darauf hin, daß diese vielleicht eine Krone trug, mit deren Befestigung dann wohl
auch ein 5 cm tiefes konisches Loch im Scheitel in Zusammenhang steht.
Dem 14. Jahrhundert verdankt die Spandauer Nikolaikirche hervorragende Teile
ihrer inneren Ausschmückung, die erst bei der Einführung der Reformation verloren
gegangen sind. Die Akten einer Kirchenvisitation von 1541 nennen allein fünf Altäre,
deren Stiftung im XIV. Jahrhundert erfolgte, deren vier in der ersten Hälfte1). Ist die
Aufzählung richtig, so wurden allein im Jahre 1330 zwei Marienaltäre errichtet, deren

9 Urkundliche Geschichte der Stadt und Festung Spandau, bearbeitet von Dr. Otto Kuntze-
müller, Spandau 1881, S. 150ff.
 
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