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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Raffael im Musée Napoléon
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0021
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Schon am 31. Juli 1797 langten in Paris 17 Wagen mit etwa 150 Gemälden
italienischer Meister an und unter diesen werden die heilige Cäcilie aus Bologna
und der Karton der Schule von Athen — in zwei Stücke zerschnitten — aus
Mailand namentlich aufgeführt1).
Auch die Transfiguration Raffaels hatte Rom bereits am 10. Mai verlassen2),
nachdem man schon ein Jahr vorher nach reiflicher Erwägung die Liste der 100
Kunstobjekte aufgestellt hatte, die der Papst nach dem Friedensvertrag von Tolen-
tino an Frankreich ausliefern mußte. Das merkwürdige Dokument trägt das Datum
des 27. Thermidor des vierten Jahres der Republik. (14. August 1796)3). Es werden
in ihm außer der Transfiguration auch die beiden Krönungen Mariä aus San Fran-
cesco und Monteluce in Perugia angeführt.
Zwei fromme Frauen, Maddalena degli Oddi und Atalante Baglioni hatten einst
zwei Meisterwerke Raffaels nach San Francesco gestiftet: die Grablegung Christi
und die Krönung Mariä. Die Grablegung Christi war bereits im Jahre 1608 nach
Rom gewandert4), und nur die Predella mit den drei theologischen Tugenden war
zurückgeblieben. Die Krönung Mariä wurde jetzt mit Predella eingepackt — Ver-
kündigung, Anbetung und Darstellung im Tempel — und wanderte mit der Pre-
della der Grablegung nach Paris. Diese Predella — eine der schönsten, die Raffael
gemalt hat — wurde nicht im Verzeichnis der 100 Objekte aufgeführt und einfach
geraubt.
Die Krönung Mariä von Monteluce schließt die Liste. Obwohl bei Raffael be-
stellt und von Raffael entworfen, ist sie doch erst von Giulio Romano und Fran-
cesco Penni ausgeführt worden. Zwar war man in Paris anderer Meinung und
rechnete das Gemälde ohne weiteres unter die Originalwerke des Urbinaten5).
Als im Jahre 1815 den Franzosen ihr Raub wieder abverlangt wurde, wandten
sie ein, daß ihre Ansprüche an die vornehmsten Kunstschätze Europas auf festen
Verträgen beruhte. Zum Glück wurden diese Verträge, die der Sieger dem Be-
siegten aufgezwungen hatte, von den Verbündeten nicht anerkannt, aber es darf
kühnlich behauptet werden, daß der bei weitem größere Teil des Kunstraubes aus
Italien, dessen Unermeßlichkeit wir uns heute nicht mehr vorzustellen vermögen,
einfach ohne jeden Rechtstitel gestohlen worden ist. Auf welcher rechtlichen
Grundlage beruht — um nur von Raffael zu reden — die Entführung der Madonna
di Foligno und der Madonna di Loretto? Es ist fälschlich behauptet worden, die
Madonna di Foligno sei im Vertrage von Tolentino mit aufgeführt worden6). Die
Madonna di Loretto war vor der Ankunft der Franzosen mit dem päpstlichen
Schatz durch den päpstlichen General Colli nach Rom gerettet und dort im Palazzo
Braschi bei einem Neffen des Papstes verborgen worden. Hier fanden die franzö-
sischen Häscher das Bild und brachten es nach Paris7).
(1) De Raphael: La sainte Cecile et les deux cartons de l'ecole d'Athenes. Ces deux cartons pro-
viennent de la bibliotheque ambrosienne. Magasin encyclopedique, Paris 1797, III,2, S. 555.
(2) Magasin encyclopedique 1797, III, I, S.116.
(3) Magasin encyclopedique II, 3, S. 424.
(4) Gronau-Rosenberg, Raffael in den Klassikern der Kunst. 4. Auflage. Stuttgart 1909, S. 228. Die
Grablegung ging nicht nach Paris — wie hier behauptet wird —. sondern nur die Predella.
(5) [Toulongeon] Manuel du Museum Francais, Paris An XII, Band II, Oeuvre de Raphael. Das Ge-
mälde ist als letztes im Bande aufgeführt, in dem weder Tafeln noch Seiten numeriert sind.
(6) [Toulongeon a. a. O.] vorletztes Bild in den Notes historiques sur les tableaux de Raphael, die
einige wertvolle Aufschlüsse enthalten.
(7) So berichtet Lavallee, der es als Generalsekretär des Musee Napoleon wissen mußte. Vgl. Filhol,
Galerie du Musee de France. Paris 1814, Tome IV, Lieferung 39, S. 8.

II
 
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