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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Mâle, Emile: Studien über die deutsche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0065
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Kölner Dom muß vollendet und daraus ein Nationaldenkmal geschaffen werden.
Diese Idee wurde mit Begeisterung aufgenommen und so kam es, daß der im 15.Jahr-
hundert verlassene Bau im 19. wieder angefangen wurde.
Damals ahnten sie nicht, daß der so sehr bewunderte Kölner Chor nur eine Kopie
desjenigen von Amiens war. Wenn die Deutschen damals gewußt hätten, daß ihr
berühmter Nationaldom die wenigst deutsche aller ihrer Kirchen war, so würden
sie ihn vielleicht unvollendet gelassen haben. Bedauerlich wäre das nicht ge-
wesen, denn nichts ist kälter als das Schiff des Kölner Doms: isoliert, hätte der
Chor mit seinen riesigen Fenstern, den purpurnen und goldenen Scheiben seine
ganze Schönheit bewahrt.
Der Tag, der den Plan von Amiens mit dem von Köln verglich und so die
Wahrheit an den Tag brachte, war für Deutschlands Wissenschaft ein tieftrauriger.
Es war kein Zweifel möglich. In Köln wie in Amiens war ein doppeltes Seiten-
schiff rechts und links vom Chor; in Köln sowohl wie in Amiens war um den
Chorumgang herum ein wundervoller Kranz von sieben ausstrahlenden Kapellen, die
ein völlig französisches, der deutschen Kunst gänzlich fremdes Motiv bildeten. Das
Muster dieser Kapellen war in beiden Kirchen gleich1). Die hauptsächlichsten
Größenverhältnisse, der Durchschnitt des Umgangs, die Länge des Chors, die Breite
der Emporen waren identisch, so daß beide in gleichem Maßstab entworfenen
Pläne sich fast decken konnten. Die Ähnlichkeiten erstreckten sich bis auf Einzel-
heiten: an den Fenstern fanden sich die Teilungen und die hübschen dreiblättrigen
Kleeblätter wieder wie in Amiens; in den oberen Partien fand sich unter den un-
geheuren Fenstern das verglaste Triforium, das den Chor von Amiens so leicht
und leuchtend gestaltete.
So waren alle älteren Teile des Kölner Doms, welche allein von wirklicher
Schönheit waren, vollkommen französisch. Sich selbst überlassen, hatten die
Deutschen im 14. Jahrhundert Geschmacklosigkeit auf Geschmacklosigkeit gehäuft.
Sie waren zu dem Plan des Schiffes mit doppelten Seitenschiffen, einer veralteten
Auffassung, zurückgekehrt, obwohl diese von den französischen Bauherren seit
mehr als einem Jahrhundert aufgegeben war, weil sie dem Innern etwas von seiner
Einheit und Größe raubt. Sie hatten eine enge, zwischen zwei Türmen geklemmte
Fassade gewählt, ganz geradlinig gehalten, starr, wie aus Metall gegossen.
Als eines Tages den Augen der deutschen Archäologen diese Wahrheiten offen-
kundig wurden, gab es eine große innere Verwirrung. Wie konnte man, nun man
wußte, daß er französisch war, den Kölner Dom noch weiter bewundern?! Lübke,
Schnaase ließen durchblicken, daß man sich in seinem Werte geirrt habe. Pecht
ging noch weiter: ihm zufolge handelte es sich um ein trockenes, lebloses, ein-
geengtes, bureaukratisches Werk.
Aber die Ehre des Kölner Domes mußte gerettet werden. Dehio begab sich mit
einer Geschicklichkeit an den Versuch, die erwähnt zu werden verdient.
Er macht folgende Einwendungen: „Der Chor von Köln erscheint zunächst, in
seinem unteren Teil, wie eine wirkliche Kopie des Chors von Amiens. Bei näherem
Zusehen fällt auf, daß das Wort Kopie nicht ganz am Platz ist. Der beide Werke
einende Zusammenhang ist sehr auffallend und etwas rätselhaft. Daß in der Kathe-
fi) In Amiens ist die Mittelkapelle (der Mutter Gottes geweiht) länger als in Köln. Aber in Beauvais,
wo der Chor ebenfalls eine Nachahmung aus Amiens ist, sind die sieben Kapellen alle von gleicher
Ausdehnung und den Kölnern vollständig gleich. Der Chor in Beauvais wurde 1247 angefangen, ein
Jahr vor dem Kölner.

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