Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

DOI article:
Zucker, Paul: Zur Kunstgeschichte des klassizistischen Bühnenbildes
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0083

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Wenn auch sonst die Einteilung Ferraris1) in verschiedene, nach einzelnen
Städten benannte Schulen von Theaterarchitekten unangebracht erscheint und
wegen des überaus regen Künstlerwechsels zwischen den einzelnen Bühnen
nicht angängig, so muß man ausnahmsweise doch die Abgrenzung einer vene-
zianischen Schule mit Piranesi im Mittelpunkt (später Gonzaga) durchaus billigen.
Piranesi ging mit 18 Jahren bereits nach Rom und malte dort Theaterde-
korationen, lernte aber zu gleicher Zeit Kupferstich und Radierung unter
Giuseppe Vasi. Sein lebhaftes archäologisches Interesse wird fast durch jedes
einzelne seiner Blätter belegt-). In der Einleitung zu seiner ersten Sammlung, der
„Prima Parte di Architetture"3) spricht er sich über die Tendenzen aus, die ihn
bei seinen Schöpfungen bestimmt haben. Er habe seine Blätter geschaffen, um
die sprechenden Ruinen Roms der Welt bekannt zu machen in einer lebhaf-
teren Weise, als es die exakten Zeichnungen Palladios vermögen, „da es für
einen Architekten dieser Zeit nicht zu hoffen ist, daß er irgendeine davon aus-
führen könne... So scheint mir kein andrer Entschluß übrig zu bleiben, für
mich wie für jeden andern Architekten, als durch Zeichnungen Ideen zu
erklären..." Aus diesen Worten geht die innige Verwandtschaft dieser groß-
artigen Phantasiearchitekturen mit Theaterdekorationen hervor. Dieselbe Tendenz,
sich unbehindert durch technische und finanzielle Schwierigkeiten architektonisch
ausdrücken zu können, spricht sich in beiden aus. Zunächst ist eine unmittel-
bare Anregung durch die Bibiena in dieser seiner ersten Sammlung unverkenn-
bar. Ohne eine ermüdende Aufzählung der einzelnen Blätter geben zu wollen,
seien nur einige allgemeine Kennzeichen angeführt. Die Großartigkeit des Maß-
stabes wird durch die eingezeichneten menschlichen Figuren betont. Eine
scharfe Beleuchtung von oben ist für die meisten Blätter gewählt und bis ins
letzte in ihrer künstlerischen Möglichkeit ausgenützt. Die Durchblicke scheinen
in die Unendlichkeit zu führen. Daneben finden sich freiere Rekonstruktionen
nach der Antike, die natürlich archäologisch nicht ernst zu nehmen sind.
Besonders kräftige Wirkungen erzielt er dadurch, daß er einzelne Architektur-
teile zum Mittelpunkte eines ganzen Blattes macht, so beispielsweise eine Gruppe
von Säulen, welche den Mittelpunkt eines fortlaufenden Arkadensystems bilden
(vgl. Abb. 5). Vor den Säulen sind plastische Brunnengruppen angebracht, zu ihnen
hinauf führen Treppenanlagen, und so ergibt sich eine räumliche Disposition von
größtem Reize. Solche Blätter zeigen besonders deutlich, wie weit Piranesi als
raumschöpfender Künstler Pozzo und die Bibiena überragt. Auch seine
Brücken sind von einem zwingenden architektonischen Rhythmus. Diese
Brücken bevorzugt er als Motive ebenso wie das Kolosseum, Sphinxenalleen,
antike Rennbahnen und Foren. Bei diesen ausgedehnteren Anlagen versucht
er beinahe eine städtebauliche Durcharbeitung. Antike Torbauten, in denen
mehrere Triumphbogen untereinander verbunden sind, finden wir in Variationen
auf mehreren Blättern wieder. Trotz der relativen Gleichartigkeit der Motive
Wirken diese Radierungen, von denen übrigens nur ganz wenige zentralperspek-
(x) Vgl. G. Ferrari. La scenografia. Milano 1902.
(2) Die bisherigen bibliographischen Angaben über die verschiedenen Ausgaben seiner
Radierungen sind noch z. T. der Nachprüfung bedürftig, da unter verschiedenen Titeln
zusammengefaßte Sammlungen z. T. die gleichen Blätter enthalten. Den bisher voll-
kommensten Versuch einer systematischen Katalogisierung bei A. Giesecke. Giovanni
Battista Piranesi. Leipzig o. J. (1910).
(3) Vgl. G. B. Piranesi. Prima Parte di Architetture e Prospettive. Roma 1743.

73
 
Annotationen