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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Rintelen, F: Dante über Cimabue II
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0115

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nannten unter den Hochmütigen, den Umberto Aldobrandeschi sieht der Dichter
nicht mit den Augen, denn das hängende Gestein, unter dem der Geprüfte sich
krümmen muß, verdeckt ihn, und wer möchte zweifeln, daß diese Unsichtbarkeit
gerade mit Hinblick auf die allzugroße Sichtbarkeit des im Leben so stolzen
Mannes erdacht worden ist? Aber der „Name, die Individualität" stehen in aller
Deutlichkeit vor uns. Erzählt Umberto nicht von sich, nennt er nicht sein Land
und seine Heimat, ruft er das Gedächtnis seines großen Vaters nicht wach, spricht
er nicht von seiner alten Familie und ihrem Glanz, der ihn so stolz gemacht?
Von seinem grenzenlosen Hochmut und von dem Tod, den er dafür erdulden mußte
berichtet er: die Sienesen haben ihm den bereitet und noch weiß in dem Flecken,
wo der Mord geschah, jedes Kind davon zu erzählen. Ich wüßte nicht, was noch
mehr Dante hätte tun können, um uns den stolzen Ritter leibhaftig vorzuführen;
von Langsamkeit und Mühsal keine Spur. Aber Voßler sagt, „Umberto sei nichts
als das zufällige Exemplar seines ganzen vom Laster des Stolzes umfaßten (!) Ge-
schlechtes." Warum zufällig? war Umberto kein besonderer in seiner Sippe, wo
er doch für seinen Stolz den Tod erleiden mußte, und war er dem Dichter nicht
ein ganz besonderes „Exemplar", da die verhaßten Männer von Siena es gewesen
waren, die ihn ermeuchelt hatten? Und wenn Dante den Umberto klagen läßt,
daß seine ganze Familie am Hochmut gelitten habe, so rundet er doch nur das
typische Bild des Lasters Familienstolz ab, dem Umberto nimmt er von seiner
sehr starken, ja tragischen individuellen Wirkung damit nichts.
Aber noch mehr zeigt sich Voßlers empfindsame Gewalttätigkeit bei den folgen-
den Versen, in denen Auftreten und Worte des Oderisi von Gubbio geschildert
werden. Den Vorgang selbst habe ich in meinem anderen Artikel genau wiedererzählt.
Von Mühsal kann ich auch hier nichts finden, im Gegenteil, die Begegnung zwi-
schen Dante und dem Miniaturisten ist von solcher persönlichen Wärme und Innig-
keit, daß mir beim Lesen der Verse immer die zärtlichen Umarmungen, in welchen
hundert Jahre später Fra Angeliko die Himmlischen geschildert hat, ins Gedächtnis
kommen. Hört Voßler denn den Klang der Worte nicht: „E vide mi e conobbe
mi e chiamava", daß er von Mühsal spricht? Wie freut sich Dante beim Anblick
des Oderisi und wie liebenswürdig schmeichelt er dem „Namen und der Indivi-
dualität" des Schattens; er erkennt ihn sogleich, er weiß, daß Oderisi die Ehre
seiner Kunst und die Ehre Gubbios ist, und so groß ist seine Höflichkeit, daß die
ganze folgende Rede des Oderisi motivisch nichts ist als die Zurückweisung der
allzu großen Ehre, die Dante seinem Namen erwiesen hatte.
Aber hätte Voßler diese entzückende Begrüßung mit den Augen aufgefaßt, so
wäre es ihm vor allem nicht begegnet, daß er den Miniaturisten, der doch allein
von allen hier genannten Männern eine Figur des Purgatorio ist, mit all den andern
gleichstellte, die ja nur den Gegenstand der Unterhaltung zwischen Dante und
Oderisi bilden und darum den schönsten Eigenwert besitzen könnten, auch wenn
ein solcher im übrigen an dieser Stelle verpönt gewesen wäre. Und sie besitzen
ihn auch in hohem Maß; nicht dank der lebendigen individuellen Zeichnung, die
uns den Umberto und Oderisi und gleich nachher den Salvani so deutlich sichtbar
machen, sondern als ruhmvolle Repräsentanten des sehr menschlich - „eigenwerti-
gen" Künstlertums. Ich habe in meiner früheren Erklärung der Stelle bereits
darauf hingewiesen, wie lebhaft, ja übersprudelnd die Ausdruckweise Dantes in
eben den Versen ist, die von der Nichtigkeit des Ruhmes auf Erden handeln. Das
ist begreiflich genug, denn den starken Geist erhebt das Bewußtsein der Ver-
gänglichkeit, und der Tummelplatz des künstlerischen Ruhmes, gerade er ist Dantes

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