Ueber die Wahrnehmung des Unendlichen. 3
Ich habe so viel als möglich die ipsissima verba von Strauss
gegeben.
"Wo hat dann aber Strauss bewiesen, dass wahre
Religion nur in Gebet, Kreuzschlagen und Messehören be-
stehe? Liest man weiter, so möchte man fast glauben,
dass Renan Recht habe, wenn er sagt, die Deutschen quälen
sich ab Atheisten zu sein, sie können es aber nie recht
zu AVege bringen. Strauss sagt, „die Welt ist für uns die
Werkstätte des Vernünftigen und Guten; dasjenige, wovon
wir uns schlechthin abhängig fühlen, ist mit nichten eine
rohe Uebermacht, der wir mit stummer Resignation uns
beugen, sondern zugleich Ordnung und Gesetz, Vernunft
und Güte, der wir uns mit liebendem Vertrauen hingeben.
Wir fühlen uns demjenigen, wovon wir uns abhängig finden,
zugleich im Innersten verwandt, wir finden uns in der
Abhängigkeit zugleich frei, in unserem Gefühl für das
Universum mischt sich Stolz mit Demuth, Freudigkeit mit
Ergebung." AVenn dies nicht Religion ist, wie sollen wir
es dann nennen? Strauss will keinen Cultus, weil er im
Cultus nur knechtischen Gottesdienst sieht, er behält aber
das Schleiermacher'sche Abhängigkeitsgefühl in seiner
vollen Bedeutung bei, und wirft nur das von Feuerbach
hinzugefügte Element des AVunsches und der Begierde
wieder 'weg, als einen unwahren und unedlen Bestandtheil
aller Religion. Kurz, Strauss ist sich so unklar über das
wahre Wesen der Religion, dass er schliesslich auf die
Frage, ob er selbst noch Religion habe, nur die Antwort
geben kann: „Ja oder Nein, je nachdem man es verstehen
will".
Nun ja, wie verstehen wir es denn nun aber, was
Religion wirklich ist. Es scheint mir zunächst, indem wir
zu verstehen suchen, was Religion gewesen ist.
1*
v
Ich habe so viel als möglich die ipsissima verba von Strauss
gegeben.
"Wo hat dann aber Strauss bewiesen, dass wahre
Religion nur in Gebet, Kreuzschlagen und Messehören be-
stehe? Liest man weiter, so möchte man fast glauben,
dass Renan Recht habe, wenn er sagt, die Deutschen quälen
sich ab Atheisten zu sein, sie können es aber nie recht
zu AVege bringen. Strauss sagt, „die Welt ist für uns die
Werkstätte des Vernünftigen und Guten; dasjenige, wovon
wir uns schlechthin abhängig fühlen, ist mit nichten eine
rohe Uebermacht, der wir mit stummer Resignation uns
beugen, sondern zugleich Ordnung und Gesetz, Vernunft
und Güte, der wir uns mit liebendem Vertrauen hingeben.
Wir fühlen uns demjenigen, wovon wir uns abhängig finden,
zugleich im Innersten verwandt, wir finden uns in der
Abhängigkeit zugleich frei, in unserem Gefühl für das
Universum mischt sich Stolz mit Demuth, Freudigkeit mit
Ergebung." AVenn dies nicht Religion ist, wie sollen wir
es dann nennen? Strauss will keinen Cultus, weil er im
Cultus nur knechtischen Gottesdienst sieht, er behält aber
das Schleiermacher'sche Abhängigkeitsgefühl in seiner
vollen Bedeutung bei, und wirft nur das von Feuerbach
hinzugefügte Element des AVunsches und der Begierde
wieder 'weg, als einen unwahren und unedlen Bestandtheil
aller Religion. Kurz, Strauss ist sich so unklar über das
wahre Wesen der Religion, dass er schliesslich auf die
Frage, ob er selbst noch Religion habe, nur die Antwort
geben kann: „Ja oder Nein, je nachdem man es verstehen
will".
Nun ja, wie verstehen wir es denn nun aber, was
Religion wirklich ist. Es scheint mir zunächst, indem wir
zu verstehen suchen, was Religion gewesen ist.
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