Ueber die Wahrnehmung des Unendlichen.
7
Ausspruch des Herakleitos denselben Hass gegen alle
Religion erkennen dürfen, der sich in den Schriften Feuer-
bach's zeigt. Die Idee, dass es verdienstlich sei, zu glauben,
war kaum eine sehr alte Idee in Griechenland, und dess-
halb galt auch der Mangel an Glauben nicht als ein Ver-
brechen, ausser wo er störend in die öffentlichen Ein-
richtungen des Staates eingriff. Es gab eine Orthodoxie
in Griechenland, aber sie war nicht fanatisch, ja es ist
schwer zu sagen, wann sie ihre Macht erreicht, und woher
sie ihre Cohärenz genommen.2
Herakleitos tadelt allerdings die Menschen , welche
den Sängern (dotSof) folgen, und deren Lehrer der Pöbel
ist; die zu Götzenbildern beten, als ob sie mit den Wänden
von Häusern sich unterhalten könnten, und die nicht
wissen, was die Götter und die Heroen wirklich sind.3
Epikuros thut dasselbe, aber Herakleitos leugnet nirgends
die Existenz der unsterblichen Götter, oder des Einen
Göttlichen. Nur, wenn er sah, wie die Menschen glaubten,
was ihnen fahrende Sänger, wie Homer und Hesiod, von
Zeus und Hera, von Hermes und Aphrodite erzählten,
scheint Herakleitos sich gewundert zu haben, und die
einzige Erklärung, die er für dieses eigenthümliche Phä-
nomen zu finden vermochte, war, dass es von einem
Geistesleiden entspringe, das ein Arzt wohl heilen, nie
aber ganz ausrotten könne.
In einem gewissen Sinn ist also auch Religionswissen-
schaft so wenig eine moderne Erfindung als Religion.
2 Lange, Geschichte des Materialismus, I, p. 4. — E. Curtius,
Ueber die Bedeutung von Delphi für die Griechische Culfcur, Fest-
rede am 2*2. Februar 1878
2 Heracliti Reliquiae, CXI, CXXVI.
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Ausspruch des Herakleitos denselben Hass gegen alle
Religion erkennen dürfen, der sich in den Schriften Feuer-
bach's zeigt. Die Idee, dass es verdienstlich sei, zu glauben,
war kaum eine sehr alte Idee in Griechenland, und dess-
halb galt auch der Mangel an Glauben nicht als ein Ver-
brechen, ausser wo er störend in die öffentlichen Ein-
richtungen des Staates eingriff. Es gab eine Orthodoxie
in Griechenland, aber sie war nicht fanatisch, ja es ist
schwer zu sagen, wann sie ihre Macht erreicht, und woher
sie ihre Cohärenz genommen.2
Herakleitos tadelt allerdings die Menschen , welche
den Sängern (dotSof) folgen, und deren Lehrer der Pöbel
ist; die zu Götzenbildern beten, als ob sie mit den Wänden
von Häusern sich unterhalten könnten, und die nicht
wissen, was die Götter und die Heroen wirklich sind.3
Epikuros thut dasselbe, aber Herakleitos leugnet nirgends
die Existenz der unsterblichen Götter, oder des Einen
Göttlichen. Nur, wenn er sah, wie die Menschen glaubten,
was ihnen fahrende Sänger, wie Homer und Hesiod, von
Zeus und Hera, von Hermes und Aphrodite erzählten,
scheint Herakleitos sich gewundert zu haben, und die
einzige Erklärung, die er für dieses eigenthümliche Phä-
nomen zu finden vermochte, war, dass es von einem
Geistesleiden entspringe, das ein Arzt wohl heilen, nie
aber ganz ausrotten könne.
In einem gewissen Sinn ist also auch Religionswissen-
schaft so wenig eine moderne Erfindung als Religion.
2 Lange, Geschichte des Materialismus, I, p. 4. — E. Curtius,
Ueber die Bedeutung von Delphi für die Griechische Culfcur, Fest-
rede am 2*2. Februar 1878
2 Heracliti Reliquiae, CXI, CXXVI.