Henotheismus, Polytheismus. Monotheismus, Atheismus. 329
nicht zu bezweifeln, dass auch andere Religionen diese
Entwicklungsstufe durchzumachen hatten.
In einer Geschichte der alten Sanskrit-Literatur, die
im Jahre 1853 erschienen, hatte ich bereits auf diese
henotheistische Periode aufmerksam gemacht. „Wenn diese
einzelnen Götter angerufen werden", sagte ich, „werden
sie nicht dargestellt als beschränkt durch das Machtbereich
von anderen, als höher oder niedriger in ihrer Stellung.
Im Geiste der Andächtigen ist jeder Gott so gut als alle
anderen Götter. Er wird im Augenblicke des Gebets als
eine wahre Gottheit, als höchstes, unumschränktes Wesen
gefühlt, trotz aller unabwTeislichen Beschränkungen, welche,
unserer Ansicht nach, nothwendig mit einer Mehrheit von
Göttern verbunden sind. Alle anderen Götter verschwinden
aus dem Sehfelde des Dichters, und nur der Gott, der
ihre Wünsche erfüllen soll, steht in klarem Lichte vor den
Augen seiner Yerehrer. „Unter Euch, ihr Götter, ist
keiner der klein ist, keiner der jung ist; ihr seid alle gross
fürwahr", — dieses Gefühl, wenn es auch nicht überall so
entschieden ausgedrückt ist, als in dem Hymnus des Manu
Yaivasvata, durchdringt nichtsdestoweniger die ganze
Vedische Poesie. Wenn wir sehen, wie trotzdem die
Götter zuweilen als gross und klein, als jung und alt an-
gerufen werdenso ist dies eben nur einer von vielen
Versuchen, einen umfassenden Ausdruck für alle Götter
zu finden. Nirgends ist ein Gott der Unterthan oder Sklave
eines anderen".
Man darf indess nicht annehmen, dass das, was ich
Henotheismus nenne, um es von Polytheismus, in dem ge-
1 Rig-Veda I, 27, 13.
nicht zu bezweifeln, dass auch andere Religionen diese
Entwicklungsstufe durchzumachen hatten.
In einer Geschichte der alten Sanskrit-Literatur, die
im Jahre 1853 erschienen, hatte ich bereits auf diese
henotheistische Periode aufmerksam gemacht. „Wenn diese
einzelnen Götter angerufen werden", sagte ich, „werden
sie nicht dargestellt als beschränkt durch das Machtbereich
von anderen, als höher oder niedriger in ihrer Stellung.
Im Geiste der Andächtigen ist jeder Gott so gut als alle
anderen Götter. Er wird im Augenblicke des Gebets als
eine wahre Gottheit, als höchstes, unumschränktes Wesen
gefühlt, trotz aller unabwTeislichen Beschränkungen, welche,
unserer Ansicht nach, nothwendig mit einer Mehrheit von
Göttern verbunden sind. Alle anderen Götter verschwinden
aus dem Sehfelde des Dichters, und nur der Gott, der
ihre Wünsche erfüllen soll, steht in klarem Lichte vor den
Augen seiner Yerehrer. „Unter Euch, ihr Götter, ist
keiner der klein ist, keiner der jung ist; ihr seid alle gross
fürwahr", — dieses Gefühl, wenn es auch nicht überall so
entschieden ausgedrückt ist, als in dem Hymnus des Manu
Yaivasvata, durchdringt nichtsdestoweniger die ganze
Vedische Poesie. Wenn wir sehen, wie trotzdem die
Götter zuweilen als gross und klein, als jung und alt an-
gerufen werdenso ist dies eben nur einer von vielen
Versuchen, einen umfassenden Ausdruck für alle Götter
zu finden. Nirgends ist ein Gott der Unterthan oder Sklave
eines anderen".
Man darf indess nicht annehmen, dass das, was ich
Henotheismus nenne, um es von Polytheismus, in dem ge-
1 Rig-Veda I, 27, 13.