Müller, Friedrich Max: Vorlesungen über den Ursprung und die Entwicklung der Religion: mit besonderer Rücksicht auf die Religionen des alten Indiens (Strassburg, 1881)

430 Siebente Vorlesung.

der Buddhist, seine Erkenntniss eines ewigen Gesetzes,
seine Ergebung in dieses Gesetz, seine Milde, sein
Mitleid;

der Muhammedaner, wenn nichts Anderes, so doch
seine Massigkeit und Enthaltsamkeit;

der Jude, sein Festhalten, in guten und bösen Tagen,
an dem Einen Gott, dem Gott, der Gerechtigkeit
liebet und dessen Name ist: Ich bin;

der Christ, das, was besser ist als Alles — mögen die
Zweifler es nur selbst versuchen — Liebe zu Gott,
man nenne Ihn, wie man wolle, den Unsichtbaren,
den Unendlichen, den Unsterblichen, den Yater, das
höchste Selbst, über Alle, durch Alle, in Allen, —
und solche Liebe bezeuget in der Liebe zum
Nächsten, in der Liebe zu den Lebenden, in der
Liebe zu den Todten, in lebendiger, unvergäng-
licher Liebe.

In jene Krypte, wenngleich sie noch eng und dunkel
ist, steigen schon jetzt von Zeit zu Zeit Manche hinab,
denen der Lärm vieler Stimmen, der Glanz vieler Kerzen
und der Zusammenstoss vieler Meinungen da oben uner-
träglich geworden. Wer wreiss, ob sie mit der Zeit nicht
weiter und heller werden kann, so dass die Krypte der
Vergangenheit zur Kirche der Zukunft werde.