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78 Dritte Vorlesung.

und wie alles, was sich natürlich entwickelt hat, hat sie, glaube
ich, einen verborgenen Zweck, und dieser besteht darin, uns
eine Art von Lehre zu geben, die des Lernens wohl würdig ist.
und die wir sicherlich sonst nirgends hätten lernen können.
Wir sind nicht dazu berufen, jene alte vedische Litteratur ent-
weder zu bewundern oder zu verachten; wir haben sie einfach
zu studieren und uns Mühe zu geben, sie zu verstehen.

Es hat alberne Leute gegeben, welche die Entwickelung
des indischen Geistes als die großartigste Erscheinung auf
diesem Gebiete dargestellt haben, welche uns sogar zum Veda
od«r zu den heiligen Schriften der Buddhisten zurückführen
wollten, um uns dort eine wahrere Religion, eine reinere Moral
und eine erhabenere Philosophie zu bieten, als wir sie bei uns
finden könnten. Ich werde nicht einmal die Namen dieser
Schriftsteller oder die Titel ihrer Werke erwähnen. Aber ich
empfinde dieselbe Ungeduld, wenn ich sehe, wie andere Gelehrte
die alte Litteratur von Indien tadeln, als wäre sie ein Werk des
neunzehnten Jahrhunderts, als stellte sie einen Feind vor, der
besiegt werden muss und auf keine Gnade von unserer Hand
rechnen darf. Dass der Veda voll ist von kindischen, albernen,
ja für unseren Sinn selbst ungeheuerlichen Vorstellungen, wer
wollte es leugnen ? Aber eben diese Ungeheuerlichkeiten sind
interessant und belehrend, ja manche von ihnen, wenn wir nur
von der Verschiedenheit des Gedankens und des Ausdrucks ab-
sehen können, enthalten Wahrheitskeime und Lichtstrahlen, die
um so überraschender sind, als sie durch den Schleier der dich-
testen Nacht auf uns einbrechen.

Hier liegt das allgemeine, das wahrhaft menschliche Inter-
esse, welches die alte Litteratur von Indien besitzt, und welches
ihr einen Anspruch auf die Aufmerksamkeit nicht nur der Orien-
talisten oder der Freunde alter Geschichte, sondern jedes ge-
bildeten Mannes und jeder gebildeten Frau verleiht.

Es giebt Probleme, die wir eine Zeitlang bei Seite legen
können, ja die wir bei Seite legen müssen, während wir ein
jeder für sich in dem harten Kampf ums Dasein begriffen sind,
die aber bei aEedem immer wiederzukehren pflegen, und wenn
 
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