98 Vierte Vorlesung.
Feldarbeiter sein, ohne ein Geologe zu sein, ohne die Erd-
schicht zu kennen, auf welcher er steht, oder die Erdschichten
darunter, welche den Boden tragen, auf dem er lebt und ar-
beitet, und aus dem er seine Nahrung zieht. Und es kann je-
mand ein guter und nützlicher Bürger sein, ohne ein Historiker
zu sein, ohne zu wissen, wie die Welt, in der er lebt, zustande
kam, und wie viele Phasen in Sprache, Keligion und Philosophie
die Menschheit durchzumachen hatte, ehe sie ihm jenen gei-
stigen Boden schaffen konnte, auf dem er lebt und arbeitet, und
aus dem er seine beste Nahrung zieht.
Aber es muss immer eine Aristokratie geben, derer die da
wissen — <li color che sanno — oder zu wissen streben, und
der Eintritt in diese Aristokratie steht allen offen, welche ihn
begehren, allen, die ein Gefühl für die Vergangenheit haben,
ein Interesse an der Genealogie unserer Gedanken, und ein Ehr-
furchtsgefühl vor unseren geistigen Ahnen; die im wahren Sinne
des Worts Historiker sind, d. h. Erforscher dessen, was ver-
gangen, aber nicht verloren ist.
Nachdem ich Ihnen erklärt hatte, warum die alte Litteratur
von Indien, die wirklich alte Litteratur dieses Landes, ich meine
die der vedischen Periode, die sorgfältige Aufmerksamkeit nicht
nur des Orientalisten, sondern jedes gebildeten Menschen ver-
dient, welcher wissen will, wie wir in unserem 19. Jahrhundert
zu dem gekommen sind, was wir sind, habe ich Ihnen drittens
den Unterschied, den natürlichen und notwendigen Unterschied
zwischen der Entwickelung des menschlichen Charakters unter
so verschiedenen Himmelsstrichen wie die von Indien und Europa
auseinanderzusetzen versucht. Und während ich zugab, dass
die Hindus mancher männlichen Tugend und mancher prakti-
schen Fertigkeit ermangeln, die wir besonders hochschätzen,
wollte ich es betonen, dass es eine andere Sphäre der gei-
stigen Thätigkeit giebt, in welcher die Hindus hervorragen —
die beschauliche und transcendente — und dass wir liier von
ihnen einige Lebensregeln uns aneignen können, welche wir
selbst nur zu geneigt sind, zu ignorieren oder zu verachten.
Da ich aber fürchtete, zu hohe Erwartungen in Bezug auf
Feldarbeiter sein, ohne ein Geologe zu sein, ohne die Erd-
schicht zu kennen, auf welcher er steht, oder die Erdschichten
darunter, welche den Boden tragen, auf dem er lebt und ar-
beitet, und aus dem er seine Nahrung zieht. Und es kann je-
mand ein guter und nützlicher Bürger sein, ohne ein Historiker
zu sein, ohne zu wissen, wie die Welt, in der er lebt, zustande
kam, und wie viele Phasen in Sprache, Keligion und Philosophie
die Menschheit durchzumachen hatte, ehe sie ihm jenen gei-
stigen Boden schaffen konnte, auf dem er lebt und arbeitet, und
aus dem er seine beste Nahrung zieht.
Aber es muss immer eine Aristokratie geben, derer die da
wissen — <li color che sanno — oder zu wissen streben, und
der Eintritt in diese Aristokratie steht allen offen, welche ihn
begehren, allen, die ein Gefühl für die Vergangenheit haben,
ein Interesse an der Genealogie unserer Gedanken, und ein Ehr-
furchtsgefühl vor unseren geistigen Ahnen; die im wahren Sinne
des Worts Historiker sind, d. h. Erforscher dessen, was ver-
gangen, aber nicht verloren ist.
Nachdem ich Ihnen erklärt hatte, warum die alte Litteratur
von Indien, die wirklich alte Litteratur dieses Landes, ich meine
die der vedischen Periode, die sorgfältige Aufmerksamkeit nicht
nur des Orientalisten, sondern jedes gebildeten Menschen ver-
dient, welcher wissen will, wie wir in unserem 19. Jahrhundert
zu dem gekommen sind, was wir sind, habe ich Ihnen drittens
den Unterschied, den natürlichen und notwendigen Unterschied
zwischen der Entwickelung des menschlichen Charakters unter
so verschiedenen Himmelsstrichen wie die von Indien und Europa
auseinanderzusetzen versucht. Und während ich zugab, dass
die Hindus mancher männlichen Tugend und mancher prakti-
schen Fertigkeit ermangeln, die wir besonders hochschätzen,
wollte ich es betonen, dass es eine andere Sphäre der gei-
stigen Thätigkeit giebt, in welcher die Hindus hervorragen —
die beschauliche und transcendente — und dass wir liier von
ihnen einige Lebensregeln uns aneignen können, welche wir
selbst nur zu geneigt sind, zu ignorieren oder zu verachten.
Da ich aber fürchtete, zu hohe Erwartungen in Bezug auf