Adolf Hildebrand und der Klaffizistnus. 13
Stünde eine diefer Figuren in der Glyptothek, fo würde ein Vergleich mit
den Werken Thorwaldfens und Canovas den abfoluten Gegenfat} klar zeigen. Noch
deutlicher als bei den Porträts der Klaffiziften fieht man an ihren Figuren, wie
für jede Form die Motivierung nicht in der Natur, fondern in vergangener Kunft
gefucht wird und wie auf diefem Wege die Formen alles Leben, alle Warheit ver-
lieren. Aber ein anderer Vergleich ift noch von höherem Intereffe: der mit den
echten Werken griechifcher und römifcher Zeit. Da wird das moderne Element
in Hildebrands Kunft ganz deutlich. Wenn man von den antiken Idealköpfen und
den Porträts kommt und vor die Büfte tritt,- fo hat man den Eindruck einer ganz
neuen Welt. Es ift nicht nur die Empfindung, die in dem Kopfe liegt, eine neue,
fondern auch die Differenziertheit der Form, der Reichtum der malerifchen Mittel
etwas der Antike Fremdes. Und die Figur des Mannes ift fchon ihrer ganzen Geste
nach in dem Kreife antiker Kunft unmöglich. Das Problem der ruhig ftehenden
Figur hat die griechifchen Bildhauer fo ftark befchäftigt, wie kaum ein anderes,
und fie haben die verfchiedenften Löfungen dafür gefunden; Hildebrands Löfung
gleicht diefen fo wenig, daß jedem Griechen feine Figur fremd und unverftändlich
geblieben wäre. Ebenfowenig würde man aber in einer der übrigen großen Perioden
der Plaftik etwas Entfprechendes finden können. Die Natur fteht als die große
Mutter hinter Hildebrands Figuren.
Es ift im Grunde doch nur eine oberflächliche Betrachtung, die über Hilde-
brands Kunft das Urteil ausfpricht, es fei bei ihm „die Natur durch eine Kunft-
tradition gefehen“; nicht durch ein Temperament. Aber wenn man diefes Urteil
auf feine Wurzeln zurückverfolgt, fo kommt man doch zu dem für das Verftändnis
Hildebrands entfcheidenden Punkt: in feiner Natur ift ein ftark unmoderner, oder
vielleicht beffer antimoderner Zug. Alles Zerriffene, Problematifche, alles ver-
fchwommen Andeutende, nach der Unendlichkeit fehnfüchtig Verlangende an unfrer
Zeit ift ihm fremd; er ftrebt ftets nach dem Ganzen, und während die moderne
Kunftanjchauung das gefamte Gebiet des Lebens als Objekt künftlerifcher Ge-
ftaltung fucht, fällt für ihn von vorneherein alles, was ewig fragmentarifch bleiben
muß, fort und nur das bleibt ihm zur Darftellung übrig, was fleh, geftaltet, als ob-
jektive Exiftenz über die Zeit und das Leben erhebt, was Ewigkeitswert befitjt.
Darin liegt Hildebrands Verwandtfchaft mit Hans von Marees, deffen dämonifche
Natur nicht ohne Gewaltfamkeit und Kampf fein ganzes Leben hindurch auf das
eine Ziel losging, feine Kunft zur höchften Objektivität, feine Werke zur vollendetften
Harmonie und Einheit zu erheben. Hildebrand war es befchieden, ohne Gewalt-
famkeit jene Harmonie zu erreichen. Aber indem feine Werke jene Einheit
zeigen, grüßen fie hinüber zu der Kunft vergangener Zeiten, erfcheinen fie wie
deren fpätgeborene Brüder. Ihm offenbarte fielt die Natur noch einmal als ein
Ganzes, fo wie den Alten; aber muß er deshalb Nachahmer der Alten fein?
Der größte Teil von Hildebrands figuraler Plaftik ift für ein architektonijches
Ganzes gefchaffen. Seine künftlerifche Gefinnung drängt ihn zur Architektur, weil
er in ihr die eigentliche Lebensatmofphäre der Plaftik erblicken muß, wobei fozu-
fagen die Architektur die weitere Ausdeutung der in der Plaftik liegenden ge-
ftaltenden Faktoren, und zugleich die Plaftik die lebendige Blüte der Architektur
Stünde eine diefer Figuren in der Glyptothek, fo würde ein Vergleich mit
den Werken Thorwaldfens und Canovas den abfoluten Gegenfat} klar zeigen. Noch
deutlicher als bei den Porträts der Klaffiziften fieht man an ihren Figuren, wie
für jede Form die Motivierung nicht in der Natur, fondern in vergangener Kunft
gefucht wird und wie auf diefem Wege die Formen alles Leben, alle Warheit ver-
lieren. Aber ein anderer Vergleich ift noch von höherem Intereffe: der mit den
echten Werken griechifcher und römifcher Zeit. Da wird das moderne Element
in Hildebrands Kunft ganz deutlich. Wenn man von den antiken Idealköpfen und
den Porträts kommt und vor die Büfte tritt,- fo hat man den Eindruck einer ganz
neuen Welt. Es ift nicht nur die Empfindung, die in dem Kopfe liegt, eine neue,
fondern auch die Differenziertheit der Form, der Reichtum der malerifchen Mittel
etwas der Antike Fremdes. Und die Figur des Mannes ift fchon ihrer ganzen Geste
nach in dem Kreife antiker Kunft unmöglich. Das Problem der ruhig ftehenden
Figur hat die griechifchen Bildhauer fo ftark befchäftigt, wie kaum ein anderes,
und fie haben die verfchiedenften Löfungen dafür gefunden; Hildebrands Löfung
gleicht diefen fo wenig, daß jedem Griechen feine Figur fremd und unverftändlich
geblieben wäre. Ebenfowenig würde man aber in einer der übrigen großen Perioden
der Plaftik etwas Entfprechendes finden können. Die Natur fteht als die große
Mutter hinter Hildebrands Figuren.
Es ift im Grunde doch nur eine oberflächliche Betrachtung, die über Hilde-
brands Kunft das Urteil ausfpricht, es fei bei ihm „die Natur durch eine Kunft-
tradition gefehen“; nicht durch ein Temperament. Aber wenn man diefes Urteil
auf feine Wurzeln zurückverfolgt, fo kommt man doch zu dem für das Verftändnis
Hildebrands entfcheidenden Punkt: in feiner Natur ift ein ftark unmoderner, oder
vielleicht beffer antimoderner Zug. Alles Zerriffene, Problematifche, alles ver-
fchwommen Andeutende, nach der Unendlichkeit fehnfüchtig Verlangende an unfrer
Zeit ift ihm fremd; er ftrebt ftets nach dem Ganzen, und während die moderne
Kunftanjchauung das gefamte Gebiet des Lebens als Objekt künftlerifcher Ge-
ftaltung fucht, fällt für ihn von vorneherein alles, was ewig fragmentarifch bleiben
muß, fort und nur das bleibt ihm zur Darftellung übrig, was fleh, geftaltet, als ob-
jektive Exiftenz über die Zeit und das Leben erhebt, was Ewigkeitswert befitjt.
Darin liegt Hildebrands Verwandtfchaft mit Hans von Marees, deffen dämonifche
Natur nicht ohne Gewaltfamkeit und Kampf fein ganzes Leben hindurch auf das
eine Ziel losging, feine Kunft zur höchften Objektivität, feine Werke zur vollendetften
Harmonie und Einheit zu erheben. Hildebrand war es befchieden, ohne Gewalt-
famkeit jene Harmonie zu erreichen. Aber indem feine Werke jene Einheit
zeigen, grüßen fie hinüber zu der Kunft vergangener Zeiten, erfcheinen fie wie
deren fpätgeborene Brüder. Ihm offenbarte fielt die Natur noch einmal als ein
Ganzes, fo wie den Alten; aber muß er deshalb Nachahmer der Alten fein?
Der größte Teil von Hildebrands figuraler Plaftik ift für ein architektonijches
Ganzes gefchaffen. Seine künftlerifche Gefinnung drängt ihn zur Architektur, weil
er in ihr die eigentliche Lebensatmofphäre der Plaftik erblicken muß, wobei fozu-
fagen die Architektur die weitere Ausdeutung der in der Plaftik liegenden ge-
ftaltenden Faktoren, und zugleich die Plaftik die lebendige Blüte der Architektur