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Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst — 1.1906

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Sieveking, Johannes: Antike Kunstschätze im Münchner Privatbesitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.67745#0189
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Antike Kunstschätze im Münchner Privatbesitz.
Von Johannes Sieveking.
Der Bayerische Verein der Kunftfreunde in München hat feine Aufgabe, das
künftlerifche Verftändnis im Volke zu fördern, im Anfang diefes Jahres durch die
Anstellung einer reichen Auswahl der im Münchner Privatbefitj befindlichen an-
tiken Kunftfchät5e vor der breiteren Öffentlichkeit eingeleitet. Das Unternehmen
konnte von zwei Gefichtspunkten aus gewagt erfcheinen, einmal in der Er-
wägung, ob nicht manche Stücke, die für fich allein in der intimen häuslichen
Umgebung einen ftarken Zauber ausüben mochten, in das Licht eines Ausftellung-
gebäudes gebracht und hier der zufälligen engen Gruppierung mit Gegenftänden
andrer Zeiten und andrer Kunftart unterworfen, bedeutend an Reiz einbüßen
würden. Zweitens konnte es zweifelhaft bleiben, ob nicht das zur Verfügung
ftehende Material neben unferem herrlichen öffentlichen Antikenbefitz geringfügig
wirken und dem durch diefen verwöhnten Auge wenig bieten würde. Beide
Befürchtungen haben fielt nicht erfüllt. Durch eine bei der Kürze der zur Ver-
fügung ftehenden Vorbereitungszeit doppelt anerkennenswerte gefchickte Anordnung
ergab fich ein ungemein reizvolles Bild der Abwechslung von Werken größerer
Skulptur und Kleinkunftgruppen, von welch letztem befonders die ägyptifchen
Smalte der Sammlung v. B i ffi n g, die Goldfchmuckarbeiten aus dem Befitz des Herrn
Geheimen Hofrat Stützei und die Bronzegeräte des Herrn Dr. Arndt durch ihre
Reichhaltigkeit und Gefchloffenheit auffielen. Faft jedes einzelne Stüde der Aus-
heilung legte ein vollgültiges Zeugnis für den traditionellen guten Gefchmack der
Münchner Sammler ab, eine ganze Anzahl aber der Kunftwerke verdiente es, den
Schätzen unferer Staatsfammlungen an die Seite geftellt zu werden, ja Lücken in
diefen könnten durch fie ausgefüllt werden. Die Erinnerung an diefe Hauptftücke,
die jetzt wieder unfichtbar geworden, der Forfchung entzogen find, wachzuhalten
ift der Zweck der folgenden Zeilen.
An die Spitze [teile ich den berühmten Torfo der Sammlung Pour tales (Abb. 1),
berühmt als Erfindung des großen Polyklet, berühmt auch durch feine vortreffliche
Arbeit, auf Grund derer der Torfo den erften Platz unter den zahlreichen uns
erhaltenen Kopien der Bronzeftatue des argivifchen Meifters einnimmt. Leider fehlt
der Kopf, er war zur rechten Seite hin gewendet. Der Körper ruhte feft auf dem
rechten Fuß auf, der linke war in Schrittftellung zurückgefetzt und berührte nur
mit einigen Zehen den Boden. Der rechte Arm hing untätig am Körper herab,
der linke fchulterte einen kurzen Speer. Es ift der fpeertragende Jüngling des
Polyklet, die Statue, welche fchon im Altertum, für das Ideal der männlichen
 
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