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Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst — 1.1906

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Habich, Georg: Hans Leinberger, der Meister des Moosburger Altars
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https://doi.org/10.11588/diglit.67745#0158
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Hans Leinberger, der Meifter des Moosburger Altars.

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Talent eignet. Diefer fleifchermäßige Kriegshauptmann rechts im Vordergrund
hat nicht viel feinesgleichen. Der „römifche“ Harnifch und die nicht ganz echte
Bewegung der Hände —ein merkwürdig frühes Beifpiel für italienischen Manieris-
mus in deutfcher Plaftik — kann nicht über die biergenährte niederbayerifche Raffe
hinwegtäufchen, und auch der kleine nackte Steckenpferdreiter, der ein wenig an
Altdorfers erfte Verfuche erinnert, Gott Amor in Deutfchland heimifch zu machen,
ift kein italienifcher „Bambino“, fondern ein gut deutfcher Wechfelbalg.
Ein ftarkes Gefühl für das Organifche und Animalifche im Wachstum fpricht
aus diefen Figuren. Insbefondere im Nackten bewährt [Ich die prachtvoll finn-
liche Frifche des Künftlers. Strotzendes Leben quillt ihm aus der Hand, wenn
er die nackten, furchtbar entftellten Leiber der beiden Schächer [childert. Nichts
wird dem Befchauer dabei erfpart. Wie die dünnen Stricke ins weiche Lenden-
fleifch fchneiden, fodaß das abgefchnürte Blut in den Adern ftockt und die Glied-
maßen unförmig auftreibt, die unter den Kolbenfchlägen der Henkersknechte zer-
platzende Haut, die gebrochenen Gelenke — alles wird mit einer Graufamkeit
gefchildert, wie fie nur der mittelalterliche Schindanger lehrte. Und dennoch, der
Gegenftand ftößt nicht ab, wie ähnliche Darftellungen in der tiroler und bayerifchen
Malerei häufig genug: das künftlerifche Moment, das in einer echt plaftifchen
Haltung beruht, bleibt gewahrt. Wie weit find diefe qualverzerrten Leiber von
dem akademifchen Begriff „Anatomie“ entfernt, der die Martyrienbilder der
fpäteren Renaiffancekunft fo unerträglich macht. Von einem wahren Schönheits-
gefühl des Künftlers hingegen zeugt der weich und doch beftimmt modellierte
Körper des Chriftus. Der kräftig gefchnittene Kopf des gerechten Schächers
(zur Rechten) verdient Beachtung und nicht minder auch das Beiwerk; wie beifpiels-
weife der Lendenfchurz des Schächers rechts oder die Struktur des Holzes am
Kreuz behandelt ift, kann in Bezug auf lebendige Durchbildung kaum weiter ge-
trieben werden.
Nichts weniger als fchön, aber ungemein charakteriftifch find bei Leinberger
Geficht und Hände. Namentlich feinen Frauenköpfen, die er durch kapuzenartig
in die Stirn gezogene Kopftücher zu befchatten liebt, haftet etwas merkwürdig
Unentwickeltes, Zerdrücktes, Verquollenes an. Die Hände — auch die des Chriftus —
find kurze derbe Bauernhände, die jedoch oft im Verhältnis eher zu klein als
zu groß geraten.
Die Draperie nimmt teil an jener großen unmotivierten Bewegtheit, die für
eine ganze Richtung innerhalb der Spätgotik bezeichnend ift. Dagegen find der
eigentümlich weiche Schwung, die gelappten Zipfel und die S förmigen Faltenkämme
befondere Merkmale unferes Künftlers.
Ein anderes figniertes Schnitzwerk Hans Leinbergers, eine Beweinung Chrifti,
fah ich vor Jahresfrift im Münchener Kunfthandel. Es befindet fich jetzt im Kaifer
Friedrich-Mufeum in Berlin. (H. 16 cm Br. 11cm.) Eine dritte monogrammierte
Arbeit, ein größeres Holzrelief von dekorativer Machart mit der Jordantaufe, kam
kürzlich in Berlin zutage und gelangte gleichfalls in das dortige Mufeum. Dank
dem Entgegenkommen der Mufeumsleitung, find wir in der Lage, beide Stücke
in Abbildung vorlegen zu können (Abb. 4 u. 6).
 
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