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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 44.1916/​1917(1918)

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Stieda, W.: Alt-Ems: Bilder aus seiner Vergangenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.60614#0302
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294

W. Stieda

so hehr, so rührend. — Es ist mir immer, als blickte ich in ein Heiligthum,
wenn ich mir diese stillen Wochen in Ems wieder vor die Seele rufe. — Es
fehlte an allem, fast Notwendigem; aber wie erhaben über alle diese Dinge
und ihre Entbehrungen war die geliebte Prinzess. Wie wollte sie alles noch
mehr vereinfachen und auf alles, was nicht unumgänglich nötig war, verzichten.
So bleibt mir unvergesslich, wie sie eines Abends ganz heiter zu mir sagte:
„Clara wir wollen uns heute etwas zu gute thun, wir wollen Thee trinken.“
Ich eilte Thee zu bestellen und die geliebte Herzogin in ihrer kindlichen liebe-
vollen Weise freute sich förmlich darauf und wollte, dass Herr Regnier und
die treue deutsche Dienerin Succow mittrinken sollten. Sie schickte mich diese
zu holen; aber mit ihrem Zartgefühl und Takt wollten sie nicht von der Güte
der theueren Herrin Gebrauch machen. Da kam diese selbst und sie mussten

ihr folgen. 0 das waren Stunden, die sich nicht mit Worten wiedergeben
lassen, die man nur in tiefster Seele empfinden und bewahren kann.“
Die Herzogin war mittellos in Ems angelangt. Das wenige Geld, das in
der Eile der Abreise hatte zusammengerafft werden können, war auf der Reise
draufgegangen. Von Seiten ihrer Familie war man ihr allerdings sofort zu
Hilfe gekommen, aber die Lage war doch so prekär, dass Herr Becker, als an
ihn das Ansinnen gelangt war, die hohe Dulderin bei sich aufzunehmen, zuerst
daran gedacht hatte, ihr Gastfreiheit ohne jede Entschädigung anzubieten. Indes
war das wohl nicht gut angängig gewesen, und so hatte er seine Forderungen
stellen müssen, die indes entsprechend der bedrängten Lage bescheiden ausfielen.
Er berechnete täglich 100 Frcs. für die Herzogin und ihr Gefolge, im ganzen
15 Personen, die in den Vier Türmen, die Zimmer Nr. 9—18, 21, 22, 29, nebst
einigen Bedientenzimmern bewohnten. Es hat sich die Aufstellung der Kosten
erhalten, die Herr Becker damals gemacht hat. Wenn Fräulein von Sinclair,
wie oben erzählt, schreiben konnte, dass es an allem, fast Notwendigen gefehlt
hätte, so kann sich das nicht auf die körperliche Verpflegung und die Wohnung
beziehen. Vergleichsweise mochte vielleicht bei Hofe in Paris luxuriöser und
verschwenderischer gelebt werden, aber sicher war das, was der Englische Hof
an Küche und Keller bot, vortrefflich. Herr Becker rechnete:
8 herrschaftliche Kaffees zu 30 x. . machte 4 fl.

8 Gabelfrühstücke zu 1 fl. 12 x.
8 Diners zu 2 fl. 20 x
7 Dienerschaftskaffees zu 20 x. .
7 Dienermittage zu 36 x. . . .

„ 9 fl. 36 x.
„ 18 fl. 40 x.
„ 2 fl. 20 x.
„ 4 fl. 12 x.

In Summa kostete mithin die Verpflegung allein 42 fl. 18 x. oder rund
90 Francs, so dass als Entschädigung für die Wohnung nicht mehr als 10 Frcs.
nachblieben. Dieses Entgegenkommen war um so mehr auzuschlagen, als der
Jahreszeit gemäss 10 Heizvorrichtungen hatten angebracht werden müssen in
Zimmern, die sonst nicht künstlich erwärmt zu werden pflegten, und täglich
geheizt werden musste, was im Logispreis einbegriffen war. Für die Bedienung
zahlte die Herzogin besonders, aber die Beköstigung dieser sonst wohl kaum
vom Hotelier gebrauchten Personen fiel doch wieder ihm zur Last. Als es zum
Mai ging, hörte Ems auf, ein verborgenes Asyl zu sein. Von verschiedenen
 
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