Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 39.1879

DOI Heft:
Karl Gleyre
DOI Artikel:
IV. Eintritt in die Praxis
DOI Artikel:
V. Gleyre's Umgang und Lebensweise
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43130#0022
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
17

Im Herbste 1845 entschloss sich Gleyre zu einer Reise nach Ober-Italien. Vielleicht wurde er
durch Kritiken, die sein Kolorit als zu grau bezeichneten, dazu veranlasst. Er wollte nun in Venedig
Tizian und Paul Veronese studiren. Leider geben seine Briefe wenig Aufschluss über die empfangenen
Eindrücke und eroberten Studien. Wir erfahren nur, dass er ein Taschenbändchen voll Skizzen nach
Hause brachte, in Venedig namentlich auch die Mosaiken in’s Auge fasste, in Padua die Fresken Giotto’s
und in Mailand das Abendmahl Leonardo da Vinci’s kopirte. Die meiste Zeit verwendete er zum Sehen
und zum Nachdenken. Jedenfalls war ihm diese Reise von grossem Nutzen und bildet einen Wende-
punkt in seiner künstlerischen Laufbahn. Er führte von da an einen kühnem und breitem Pinsel, seine
malerische Auffassung wird poetisch undideal, sein Styl höher, einfacher, grösser, individueller; er kopirt
weniger sklavisch das Modell, er übersetzt es, bildet es um. Die Realität, die er bis dahin nur zu genau
festhielt, um der Banalität und den klassischen Reminiscenzen auszuweichen, dient ihm jetzt nur als
Ausgangspunkt, um den Schöpfungen seines Geistes bestimmten Körper und wahre Gestalt zu geben.
Nach seiner Rückkehr kam er, angeregt von Venedig, in ein wahres Kompositionsfieber. Zuerst
machte er sich an ein kleineres Bild Cleonis und Cydipus, darauf kam ein Hauptwerk, Die Echo,
an die Reihe. Beinahe lebensgross sitzt die Nymphe, vom Beschauer abgewendet, am Ufer des Kephisos
im Schatten grosser Felsen. Sie wendet sich einer aus der Ferne hertönenden Stimme zu , der sie sich
anschickt zu antworten. Sie wurde von Herrn Ilerstadt in Köln angekauft.
Nun folgten eine Anzhhl religiöser Bilder, eine Madonna mit den beiden Kindern, Vierge de
Venise genannt, ferner eine Buhe auf der Flucht nach Aegypten, Christus unter den
Schriftgelehrten und Das Abendmahl. Die ALadonna schenkte Gleyre seinem Freunde Clement,
dessen Wohnung in den Revolutionstagen von 1848 in Gefahr war niedergerissen zu werden. Er fürchtete
für das Bild und flüchtete mit ihm gegen Abend über die Barrikaden hinweg zu Gleyre. Dieser lachte
herzlich und meinte, es wäre nicht nötliig gewesen, sein Leben eines Bildes wegen dem Kugelregen preis-
zugeben. Später vergass Gleyre wahrscheinlich, dass das Bild Clement gehörte und schenkte es Cornu.
184G nahm Gleyre den Tanz der Bacchantinnen in Arbeit, an dem er etwa drei Jahre lang
malte. Diese grosse Komposition ist vollkommene Originalschöpfung Gleyre’s. Sie wurde von dem
spanischen Gesandten Don Francesco d’Assia gekauft, welcher sie 1849 auf die Ausstellung im Salon
schickte. Sobald Gleyre davon Nachricht bekam, zog er sie wieder zurück und nahm sich vor, sich bei
keiner Ausstellung mehr zu betheiligen, indem er immer mehr von dem schädlichen Einflüsse derselben
auf die Reinheit der künstlerischen Schöpfungen, die dadurch zu marktschreierischen Produktionen herab-
gewürdigt werden, überzeugt wurde.
\drleyro’s l ’ iü«>*siii«>* und Tjebensweise.
Clhment, der 184ß mit Gleyre bekannt wurde und von da an ihm bis an’s Lebensende in nächster
Nähe blieb, berichtet uns über seine Lebensweise manch interessanten Zug, der den allgemein geachteten
Mann sowohl als Künstler als auch als Menschen kennzeichnet. Im Winter fanden sich von vier Uhr
Abends an eine Menge Gelehrter, Künstler und Kunstfreunde im Atelier Gleyre’s zum Plauderstündchen
ein. Das Gespräch dehnte sich, immer belebter werdend, über Malerei und andere Künste, über politische,
religiöse und soziale Fragen aus und Gleyre betheiligte sich lebhaft dabei. Er äusserte sich über Alles
freimüthig, gemässigt in der Form, gerecht, bestimmt, oft beissend, bisweilen sogar heftig, aber stets
wahr. Die Versammlung bestand gewöhnlich aus Sebastian Cornu, seinem Jugendfreunde, Mad. Cornu;
Kar] Nanteuil, den er von Rom her kannte; Alex. Denuelle, seinem Gefährten bei den Arbeiten in Dam-
pierre, und dessen Bruder Karl; dem Architekten Laval, den er in Venedig traf; dem Pater Enfantin
3
 
Annotationen