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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 39.1879

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Karl Gleyre
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VII. Gleyre's letzte Lebensjahre
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https://doi.org/10.11588/diglit.43130#0031
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A ll. Carley letzte Lebensjahre.
Seit seiner Rückkehr von Venedig unternahm Gleyre mit Ausnahme eines Ausfluges nach London
und einem raschen Sprunge nach Madrid, um die Velasquez zu studiren, keine grössere Reise. Doch
riss er sich alle Sommer von seinem lieben Paris los, um in der Schweiz drei bis vier Wochen zu ver-
leben. « Er besuchte mich, » berichtet Clement, in Lausanne und einige Male in Fleurier, wo ich einen
Theil der schönen Jahreszeit zubrachte. Er hielt sich wenig in Chevilly auf, wo er nur noch entfernte
Verwandte besass. Dennoch wollte er der armen Gemeinde seine Anhänglichkeit bezeugen und indem
er sich erinnerte, wie seine Mutter im Winter oft zähneklappernd in Regen und Wind am Brunnen
stand, beschloss er, für die Frauen des Dorfes ein öffentliches Waschlokal mit Schutzdach erstellen zu
lassen. Im Ganzen gefiel ihm sein Vaterland nicht sehr. Die Alpennatur liess ihn kalt und schien ihm
unbrauchbar für den Maler, der weder Vordergrund noch Horizont finde uud nicht wisse, wie er das
Motiv für ein Gemälde herauskriege. Er bestritt zwar den grossartigen Charakter desselben nicht; doch
behauptete er, der Künstler dürfe ihn nicht im Sturme von vorn nehmen, wie es die Landschafter in
Genf gemacht hätten, sondern nur aus einem Hinterhalte, gleichsam « überzwerch ». Die düstere, dunkle
Farbe der Tannen und die knolligen und schweren « savoyardenmässigen » Formen der Nussbäume waren
nicht nach seinem Geschmacke. Seine Bäume waren die Ulmen, Sycomoren, Cypressen, Lorbeeren. Ich
gab mir viele Mühe, um ihm die Schönheit der einsamen Höhen anzupreisen; ich führte ihn in das
hübsche Ormonthal, wo wir etwa zehn Tage blieben und wo er seine Zeit nur mit Plaudern, mit Spielen
mit den Kindern und mit Pflücken von Erdbeeren und Haselnüssen verbrachte. 1872 machten wir mit
ihm eine Reise in’s Engadin und Veltlin bis an die lombardischen Seen. Er lachte über unsere enthu-
siastischen Ausrufungen und lamentirte über die Märsche, die wir ihn mitmachen liessen. Beim Ueber-
schreiten des Morteratschgletschers sagte er, sich die Stirne trocknend: «Das ist zum Tollwerden, sich
so in den Schweiss zu laufen um eines schmutzigen Gletschers willen ». Erst bei Sils-Maria auf der
kleinen Landzunge zwischen beiden Seen, Angesichts des Maloja, wurde er ganz überrascht. «Das ist
ein prächtiges Gemälde, » hob er an, « ich will es ausführen. » Allein als wir wieder an den Leman
zurückkamen, kürzte er seinen Besuch in der Schweiz rasch ab und fand sich bald wieder mit kindlicher
Freude in seinem lieben Paris ein. »
Dort lebte er ganz zurückgezogen und unterbrach sein Stillleben selten durch einen Empfang oder
eine Erwiderung eines Besuches oder etwa durch einen Abstecher in die Schweiz. Je mehr er gegen
das Greisenalter vorrückte, desto weniger wünschte er, dass man sich um ihn bekümmere. So lehnte er hart-
näckig die Dekoration der Ehrenlegion ab, indem er einfach einwendete, solche Auszeichnung kenne man
in seinem Vaterlande nicht und ungeachtet der ehrenden und dringenden Anfragen wollte er auch nie
sein Bildniss anfertigen für die berühmte Sammlung von Selbstportraiten in den Uffizien in Florenz.
Diese aus Bescheidenheit und Stolz gemischte Gesinnung, dieses Widerstreben gegen rauschenden Erfolg,
den man kaum ohne etwas Charlatanismus erwirbt und das ihn früher schon bewog, im Salon nicht
mehr auszustellen, blieb ihm bis an sein Ende.
Die Jahre 1868 bis 1870 verwendete Gleyre, um einige Portraits zu machen, besonders aber um
seinen verlorenen Sohn zu fördern, den er schon 1867 angefangen hatte. Er nahm die Kohlen-
zeichnung dazu wieder vor. Sie wurde ursprünglich als Projekt für die Kirche St. Marguerite entworfen,
erfuhr aber in der Folge manche Umänderungen, die den Künstler viel Zeit und Mühe kosteten. Das
Modell für die Mutter konnte es in seiner Stellung nicht lange aushalten, Gleyre war desshalb genöthigt,
sich von einem Bildhauer ein todtes Modell machen zu lassen, das er dann angemessen drapirte. Im
Januar 1870 waren endlich alle Vorbereitungen fertig, auch eine brillante Skizze gleich einem Tizian
 
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