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thürneln kommt wahrhaftig Nichts heraus. Die trefflichen Werke jeder Kunstepoche waren das Ergehniss
ihrer Zeit. Das jedem angehenden Künstler anzurathen, mache ich mir zur wahren Pflicht.»
Und das war nicht in einer flüchtigen Anwandlung geschrieben. Fast mit denselben Worten
äusserte Vogel sich wieder sechs Jahre später gegen Overbeck. Freilich, wenn er der fortgeschrittenen
Technik der Gegenwart gerecht wurde, so hielt er darum an der Grundrichtung seiner Kunst unent-
weglich fest, wie aus folgender Charakteristik der Tagesrichtungen erhellt, welche ans Ende der
Sechziger Jahre fallen wird: «Bei den Naturalisten soll eine kecke Technik den Mangel allen geistigen
Gehaltes ersetzen, der nichtssagendste Gegenstand, meinen sie, gebe schon ein Bild; da fragt man nicht
mehr was, sondern nur wie ist es gemalt. Bei den Idealisten, scheint mir, wird zu viel philosophirt,
da ist alles so voll wundertiefsinniger, nur oft mit den Haaren herbeigezogener Beziehungen, dass es
unmöglich ist, ohne Kommentar ihre Werke zu verstehen; sie streben mit ihrer Kunst nur zu oft an,
was dem Wort und der Feder zukommt. — Gott weiss, wie die Kunst der Zukunft aussehen mag. Ich
wenigstens kann mir keinen klaren Begriff davon machen » 48j.
Vogel hat, wohl angeregt von seinen Münchener Reisen, in den Jahren 1831—1835 wieder nach
Antiken gezeichnet und eine Anzahl Köpfe in schwarzer und weisser Kreide äusserst sorgfältig aus-
geführt. Das Modellzeichnen betrieb er 1849—1852 gemeinschaftlich mit den damaligen jungen Zürcher
Künstlern, die sich zu diesem Zwecke zusammen thaten, und nicht weniger als 135 Blätter in Kreide
und Bleistift haben sich aus jenen Jahren erhalten. Ja noch bis tief in die Siebenziger Jahre hinein,
so lange er nur noch den Bleistift zu halten vermochte, hat er diese Uebung fortgesetzt.
Seine Kompositionskraft hielt bewunderungswürdig lange aus. Zwingli’s Rückkehr von Bern entwarf
er 1861, Hallwyl in der Schlacht bei Murten 1864, in seinem 76. Altersjahr. Gemalt hat er bis 1870,
bis in sein 82. Jahr, indem er theils frühere Gemälde wiederholte, theils Entwürfe der Fünfziger Jahre
(wie die muthige Bündnerin und Gessler’s Tod) in Oel ausführte. Und noch länger hat er gezeichnet,
Der Entwurf zu einem Standbild der HELVETIA trägt das Datum «Dezember 1871» und das Komite
zur Errichtung eines Zwingli-Denkmals, zu dem man ihn zugezogen, überraschte er im Juni 1872 mit
einem allerdings von zitternder Hand gefertigten Entwurf einer Statue.
Sollen wir über den Charakter von Vogel’s Kunst, während der Periode seit seiner Rückkehr aus
Italien bis zu seinen letzten Arbeiten noch ein Urtheil aussprechen, so mag das mit den Worten
W. Holland’s in seinem Nekrolog Vogel’s geschehen49). «Er machte allerlei Phasen in seiner Entwicklung
durch. Erst riss ihn seine glühende Imagination, im natürlichen Gegensatz zu der Wiener Feinthuerei
und Ziererei, zu übertriebenen Formen hin, welche durch Michel Angelo’s Vorbild und die Nibelungen-
Recken von Cornelius zur Annahme einer bäuerlichen Bärenhaftigkeit verleiteten, als ob die alten
Schweizer übernatürlich gegliederte und anders konstruirte Menschen gewesen wären. Allmälig streifte
er das Titanische ab, fiel aber dafür in einen etwas theatralischen Vortrag, bis er endlich jenes drama-
tische Gleiclnnaass fand, welches den Beschauer unmittelbar in medias res versetzt und heute noch packt
und ergreift, obwohl auch hier seine oft zu ausgeprägten Formen und die beinahe plastischen Charaktere
die Wahrheit beeinträchtigen. Einen gewissen Eindruck des Mühsamen und Gemachten konnte er nie
völlig überwinden. »
thürneln kommt wahrhaftig Nichts heraus. Die trefflichen Werke jeder Kunstepoche waren das Ergehniss
ihrer Zeit. Das jedem angehenden Künstler anzurathen, mache ich mir zur wahren Pflicht.»
Und das war nicht in einer flüchtigen Anwandlung geschrieben. Fast mit denselben Worten
äusserte Vogel sich wieder sechs Jahre später gegen Overbeck. Freilich, wenn er der fortgeschrittenen
Technik der Gegenwart gerecht wurde, so hielt er darum an der Grundrichtung seiner Kunst unent-
weglich fest, wie aus folgender Charakteristik der Tagesrichtungen erhellt, welche ans Ende der
Sechziger Jahre fallen wird: «Bei den Naturalisten soll eine kecke Technik den Mangel allen geistigen
Gehaltes ersetzen, der nichtssagendste Gegenstand, meinen sie, gebe schon ein Bild; da fragt man nicht
mehr was, sondern nur wie ist es gemalt. Bei den Idealisten, scheint mir, wird zu viel philosophirt,
da ist alles so voll wundertiefsinniger, nur oft mit den Haaren herbeigezogener Beziehungen, dass es
unmöglich ist, ohne Kommentar ihre Werke zu verstehen; sie streben mit ihrer Kunst nur zu oft an,
was dem Wort und der Feder zukommt. — Gott weiss, wie die Kunst der Zukunft aussehen mag. Ich
wenigstens kann mir keinen klaren Begriff davon machen » 48j.
Vogel hat, wohl angeregt von seinen Münchener Reisen, in den Jahren 1831—1835 wieder nach
Antiken gezeichnet und eine Anzahl Köpfe in schwarzer und weisser Kreide äusserst sorgfältig aus-
geführt. Das Modellzeichnen betrieb er 1849—1852 gemeinschaftlich mit den damaligen jungen Zürcher
Künstlern, die sich zu diesem Zwecke zusammen thaten, und nicht weniger als 135 Blätter in Kreide
und Bleistift haben sich aus jenen Jahren erhalten. Ja noch bis tief in die Siebenziger Jahre hinein,
so lange er nur noch den Bleistift zu halten vermochte, hat er diese Uebung fortgesetzt.
Seine Kompositionskraft hielt bewunderungswürdig lange aus. Zwingli’s Rückkehr von Bern entwarf
er 1861, Hallwyl in der Schlacht bei Murten 1864, in seinem 76. Altersjahr. Gemalt hat er bis 1870,
bis in sein 82. Jahr, indem er theils frühere Gemälde wiederholte, theils Entwürfe der Fünfziger Jahre
(wie die muthige Bündnerin und Gessler’s Tod) in Oel ausführte. Und noch länger hat er gezeichnet,
Der Entwurf zu einem Standbild der HELVETIA trägt das Datum «Dezember 1871» und das Komite
zur Errichtung eines Zwingli-Denkmals, zu dem man ihn zugezogen, überraschte er im Juni 1872 mit
einem allerdings von zitternder Hand gefertigten Entwurf einer Statue.
Sollen wir über den Charakter von Vogel’s Kunst, während der Periode seit seiner Rückkehr aus
Italien bis zu seinen letzten Arbeiten noch ein Urtheil aussprechen, so mag das mit den Worten
W. Holland’s in seinem Nekrolog Vogel’s geschehen49). «Er machte allerlei Phasen in seiner Entwicklung
durch. Erst riss ihn seine glühende Imagination, im natürlichen Gegensatz zu der Wiener Feinthuerei
und Ziererei, zu übertriebenen Formen hin, welche durch Michel Angelo’s Vorbild und die Nibelungen-
Recken von Cornelius zur Annahme einer bäuerlichen Bärenhaftigkeit verleiteten, als ob die alten
Schweizer übernatürlich gegliederte und anders konstruirte Menschen gewesen wären. Allmälig streifte
er das Titanische ab, fiel aber dafür in einen etwas theatralischen Vortrag, bis er endlich jenes drama-
tische Gleiclnnaass fand, welches den Beschauer unmittelbar in medias res versetzt und heute noch packt
und ergreift, obwohl auch hier seine oft zu ausgeprägten Formen und die beinahe plastischen Charaktere
die Wahrheit beeinträchtigen. Einen gewissen Eindruck des Mühsamen und Gemachten konnte er nie
völlig überwinden. »