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Rückert, Peter [Hrsg.]
Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland: Politik, Kunst und Liturgie im Umfeld des Klosters Maulbronn — Oberrheinische Studien, Band 16: Stuttgart: Thorbecke, 1999

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Traub, Andreas: Zur Choralüberlieferung bei den Zisterziensern
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https://doi.org/10.11588/diglit.52734#0189

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Zur Choralüberlieferung bei den Zisterziensern

VON ANDREAS TRAUB

Der folgende Beitrag, in dem aufgrund der von Felix Heinzer beschriebenen Quellenlage
der Name Maulbronn fehlt, hat zwei Teile; der erste ist ein kurzer Überblick über die
Grundsätze und musiktheoretischen Begründungen der Choralpflege der Zisterzienser,
genauer der unter Bernhard von Clairvaux durchgeführten (zweiten) Choralreform; der
zweite enthält einige Beobachtungen zur Überlieferung in zwei Antiphonarien aus dem
Kloster Lichtenthal1. In beiden Teilen ist die Verwendung der Bezeichnung in den mittel-
alterlichen Lehrschriften zur Musik, besser: zur musica, sowie der Choralnotation erfor-
derlich. Wie in keiner anderen Kunst ist in der Musik das als solches flüchtige Phänomen
- (vox) quando fit, est, sed cum facta est, non est (Johannes de Muris, um 1320)2 - auf die
Hilfe der ihm jeweils angemessenen Schriftform und Begrifflichkeit angewiesen, damit
das interessierte Hineinhorchen nicht in die Irre geht3.
I
Die meisten kirchlichen Reformbewegungen im Mittelalter berührten auch die gesunge-
ne Liturgie, den Choral, und zwar nicht nur sein Was, die Zuordnung der Gesänge zu
Festen und Feiern, sondern auch sein Wie: die Melodiegestalt wurde Reformgegenstand4.
1 Zur Quellenlage für Maulbronn vgl. den Beitrag von F. Heinzer in diesem Band. Für den Hin-
weis auf die Lichtenthaler Handschriften danke ich Dr. Felix Heinzer sehr herzlich.
2 Notitia artis Musicae, lib. Secundus, cap. I. Vgl. Ulrich Michels (Hg.), Johannis de Muris No-
titia artis musicae ... (Corpus Scriptorum de Musica 17), American Institute of Musicology 1972,
S. 65. Zur Datierung Ders., Die Musiktraktate des Johannes de Muris (Beihefte zum Archiv für Mu-
sikwissenschaft 8), Wiesbaden 1970, S. 15.
3 Reiches Bildmaterial und weiterführende Literaturangaben zu diesem Problem bieten Bruno Stäb-
lein, Schriftbild der einstimmigen Musik (Musikgeschichte in Bildern III/4), Leipzig 1975, und Joseph
Smits van Waesberghe Musikerziehung (Musikgeschichte in Bildern III/4), Leipzig 1969. Um nur
einen Punkt zu nennen: Die geläufige Notation mit Violin- und Baßschlüssel rechnet mit einem durch-
weg neutralen, in der absoluten Höhe aber eindeutig fixierten Tonmatenal (a’ = 440 Hz). Dem Choral
liegt ein vielfältig strukturiertes Tonmaterial zugrunde, dessen Intertonation aber gänzlich von der je-
weiligen, vom Cantor einzuschätzenden Situation abhängt. So schrieb man für Nonnenklöster nicht
etwa den Choral in einem »Sopranschlüssel«. Choralnotation ist Struktur-, nicht Tonhöhenschrift.
4 Gottfried Göller, Die Gesänge der Ordensliturgien, in: Karl Gustav Fellerer (Hg.), Geschich-
te der katholischen Kirchenmusik 1, Kassel 1972, S. 265-271; David Hiley, Western Plainchant, Ox-
ford 1993, S. 608-621. Zur Choralreform der Zisterzienser zuletzt Cristiano Veroli, Die zisterzien-
sische Revision des gregorianischen Chorals - ein Kompromiß zwischen Erneuerung und Bewahrung,
in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 79 (1995), S. 67-98. Hier wird an einer Fülle von Beispielen und vor
 
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