Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Ammerich, Hans [Hrsg.]; Gut, Johannes [Hrsg.]; Arbeitsgemeinschaft für Geschichtliche Landeskunde am Oberrhein [Mitarb.]
Zwischen "Staatsanstalt" und Selbstbestimmung: Kirche und Staat in Südwestdeutschland vom Ausgang des Alten Reiches bis 1870 — Oberrheinische Studien, Band 17: Stuttgart: Thorbecke, 2000

DOI Kapitel:
Rehm, Clemens: In Babylonischer Gefangenschaft oder Spielball der Kurie? Die Erzdiözese Freiburg in den 1840er Jahren zwischen Staatsanstalt von Selbstbestimmung
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.52735#0111

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
In Babylonischer Gefangenschaft
oder Spielball der Kurie?
Die Erzdiözese Freiburg in den 1840er Jahren zwischen Staatsanstalt
und Selbstbestimmung
VON CLEMENS REHM
An der Spitze dieser Diözese [mit Hermann von Vicari] ein unentschiedenes, furchtsames
altes Männlein, neben ihm ein 80jähriger, ganz irreligiöser Domdekan Hug, zugleich ein
Erzjosephiner; dann ein 80jähriger Domcapitular Conrad Martin, ein Mann, der keinen
Begriff von der &4ZtA[olischen] Kirche hat, gleichfalls Erzjosephiner, dann ein 70jähriger
Generalprovicar [i.e. Johann Adam Martin], ein ehemaliger Freymaurer, überdies ein
Einfaltspinsel ohnegleichen und Indifferentist, ferner ein Domkapitular Kieser, zwar gut
katholisch, aber ein unkluger, unbesonnener ich möchte sagen alberner Mann, 69 Jahre
zählend; sodann Hirscher, ferner Buchegger, noch in seinen besten Jahren, den man für
kirchlich gesinnt halten könnte, wenn er nicht einst gesagt hätte, daß er sich in Zürich in
die Freimaurerloge habe aufnehmen lassen; endlich Staudenmaier, der wie Buchegger,
alles zu vermeiden sucht, was ihn später von der Inful [Bischofswürde] verdrängen könn-
te; dann eine überwiegende Mehrzahl unkirchlicher Geistlicher, welche die Schwäche und
Armseligkeit des Ordinariates kennen, und es verachten, und thun, was ihnen beliebt.
Wie kann es in einer solchen Diözese um die Religion stehenP So las man in Rom in den
Briefen des Freiburger Dompräbendars und Münsterpräsenziars Karl Sulzer, der selber
im Priesterseminar Vorlesung haltend und als zeitweiliger Ordinariatsassessor über inti-
me Kenntnis der Diözese und ihrer Verwaltung zu verfügen schien1 2. Zwei Jahre nach
Hermann von Vicaris Wahl zum Erzbischof (15.6.1842), gut ein Jahr nach seinem
Amtsantritt (30.1.1843) und genau ein Jahr nach seiner Inthronisation (26.3.1843) keine
besonders schmeichelhafte Beschreibung der Situation.
Auch im Lande wurde das, was Rom so wichtig war, wenig geachtet. Da wurde auf
einem Maskenzug im Jahr 1845 in Pforzheim eine Erdkugel herumgeführt, wovon die
eine Hälfte licht, die andere dunkel war, die erste mit >Vorwärts<, die letztere mit
>Rückmarsch< überschrieben: der ersten gingen bekränzte Genien voran, der letzteren
folgten 15 Kapuziner und ein Pudel mit einer Mitra, an der rechten Vorderpfote den
Bischofsstab gebunden, und mit einem Mäntelchen angetan auf dem geschrieben stand
1 K.H. BRAUN, Hermann von Vicari und die Erzbischofswahlen in Baden. Ein Beitrag zu seiner
Biographie (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 35), Freiburg/München 1990,
S. 110 (unter Berufung auf ASV, Carte Augustin Theiner, scat. 4, f. 321r-323r, hier 321v, 12.3.1844).
2 Zu Sulzer: BRAUN (wie Anm. 1), S. 96, Anm. 27.
 
Annotationen