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Ammerich, Hans [Hrsg.]; Gut, Johannes [Hrsg.]; Arbeitsgemeinschaft für Geschichtliche Landeskunde am Oberrhein [Mitarb.]
Zwischen "Staatsanstalt" und Selbstbestimmung: Kirche und Staat in Südwestdeutschland vom Ausgang des Alten Reiches bis 1870 — Oberrheinische Studien, Band 17: Stuttgart: Thorbecke, 2000

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Kaufmann, Uri R.: Das Judentum: Neue "Staatskirche" und Produktivierungsinstrument in Südwestdeutschland 1809-1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.52735#0323

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Das Judentum
Neue »Staatskirche« und Produktivierungsinstrument in
Südwestdeutschland 1809-1870
VON URI R. KAUFMANN

Nach 1806/10 war die territoriale Neugliederung Badens und Württembergs abgeschlos-
sen, eine Vereinheitlichung der Rechtssysteme für Christen wie Juden drängte sich auf.
Das Verhältnis zwischen Staat und jüdischer Religionsgemeinschaft kann am besten an
vier Aspekten untersucht und interpretiert werden: Wie weit ging die Selbstbestimmung
bei der Schaffung von Landesverbänden, bei der Besetzung der Rabbinate, im jüdischen
Volksschulwesen (eingeschlossen die Produktivierung) und bei der Modernisierung des
jüdischen Gottesdienstes? Am Schluß soll kurz die Entwicklung nach 1870 charakteri-
siert werden. Zuerst bietet sich jedoch eine knappe historiographische Skizze zu diesem
Thema an.
Historiographische Gedanken über das »jüdische Staatskirchentum«
des 19. Jahrhunderts und archivalische Überlieferung
Diese Frage hat schon die jüdischen Zeitgenossen beschäftigt. Die Debatte ist bis heute
nicht abgeschlossen. Der erste Verfasser eines Gesamtüberblicks über die jüdische Ge-
schichte von den Anfängen bis in die 1840er Jahre, der Frankfurter jüdische Lehrer und
Reformer Isaak Marcus Jost, lobte die badische Politik um 1846/47 als väterlich bedacht
auf die inneren Entwicklungen'-, während sein jüngerer Kollege Heinrich Graetz, Profes-
sor für jüdische Geschichte am ersten modernen (privaten) deutschen Rabbinerseminar in
Breslau, 1870 mehr Distanz zum Konsistorialregime für Juden bekundete: dessen Mit-
glieder seien Polizeigehilfen des Staates gewesen1 2 3. »Staatstragend« äußerte sich Rabbiner
Adolf Lewin in seiner vom Oberrat der Israeliten Badens selbst in Auftrag gegebenen Ge-
schichte der badischen Juden5. Kritischere Akzente als Lewin markierte 1927 Bertold Ro-
senthal4.
1 I. M. JOST, Neuere Geschichte der Israeliten, Breslau 1846/47, Teil 1, S. 183-215.
2 H. Graetz, Geschichte der Juden, Leipzig 21900, Bd. 11, S. 283.
3 A. LEWIN, Die Geschichte der badischen Juden seit der Regierung Karl Friedrichs (1738-1909),
Karlsruhe 1909.
4 B. ROSENTHAL, Heimatgeschichte der badischen Juden, Bühl 1927 (ND Magstadt 1981), S. 428
führt aus, das »oberrätliche Kirchenregiment« habe sich nichtjüdischen Einrichtungen angepaßt
und dem Geist des Judentums Zwang angetan.
 
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