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Otto, Gertrud; Watzinger, Carl; Weise, Georg
Die Ulmer Plastik der Spätgotik — Tübinger Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte, Band 7: Reutlingen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.31325#0017
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Kleinere Werkltätten der Zeit um 1500.

1. Der Meister des Schongauer^Altärchens und sein Kreis.

IN der Sakristei des Ulmer Münsters wird ein Altärchen aufbewahrt, das
man nach den Malereien der Flügel, denen Schongauersche Stiche aus der
Passionsfolge alsVorlage dienten, das Schongauer-Altärchen zu nennen pssegt.
Den Schrein nimmt eine Kreuzigungsgruppe (Abb. i) ein. Das Ganze wirkt
außerordentlich fein und zierlich und ist in kleinstem Format gehalten, in
der Art von Hausaltärchen, die zur Privatandacht bestimmt waren. Charak-
teristisch für den Stil der plastischen Teile ist die Art des Körpergeflihls, das
Stehen mit leichter Kniebeuge, die Beweglichkeit und Gelöstheit der Glieder,
der achsenreiche Aufbau und die kontrastreiche Drapierung der Gewandung
bei weichem Faltenwurf.

Innerhalb der Ulmer Plastik steht das Schongauer-Altärchen ziemlich
allein. In irgend welche kunstgeschichtlichen Zusanmienhänge ist es noch
nicht eingereiht worden. Und doch gehört es einer Richtung an, die sich in
der Ulmer Plastik des ausgehenden 15.Jahrhunderts noch durch weitere
Beispiele belegen läßt. Als nahe verwandt wären in erster Uinie die Figuren
des sogenannten Marienaltars an der nördlichen Chorwand der Kirche zu
Oberstadion (O.A. Ehingen) 1 zu nennen, eine Madonna (Abb. 3) und
die Heiligen Agnes und Margarethe (Abb. 2). Die zugrunde liegenden Stil-
prinzipien sind beidemale dieselben: auf einern schmalen, nur durch die
Fülle der Gewandung breiter wirkenden Körper sitzt der kleine, zarte Kopf,
umrahmt von den vollen, ganz fein und eng gewellten Haaren, die an der
Stirne ssach anliegen und nur seitlich weiter ausladen. In reichem Rich-
tungskontrast und vielfacher Bewegung sind die Figuren aufgebaut. Ganz
besonders läßt die Madonna diese Tendenzen erkennen. Bezeichnend
ist, um Einzelheiten zu nennen, die stets wiederkehrende Markierung
der Kniepartie sowie das gleichzeitige Vorwärtsstoßen und seitliche Ver-
schieben des Oberschenkels, dem im Oberkörper die Drehung nach der
Gegenseite entspricht. Die Gewandung unterstreicht durch die Disferen-
zierung der beiden Seiten und durch das reiche Bauschen der Stoffe den
Eindruck des Beweglichen und Belebten.

Im allgemeinen ist solche Belebtheit niclrt gerade ein Charakteristikum
der Ulmer Kunst. Die maßgebenden Anregungen hat der Oberrhein dem
Meister gegeben. Im Kreise des gewöhnlich mit Simon Uainberger identi-
fizierten Meisters 2 dürften in erster Uinie die Quellen für den Stil des

1 vgl. Die Kunst- und Altertums-Denkmale im Königreich Württemberg, Donaukreis, Oberamt Ehingen

(Eßlingen 1912) S. iji. 2 Die bislang gültige Attribution des Hochaltars der Georgskirche zu Nördlingen
und der damit zusammenhängenden Arheiten aut Simon Lainberger wird neuerdings von Demmler (der
Meister der Dangolsheimer Madonna, Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 46 s1925] S. 164 ff.) abgelehnt.

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