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in sich aufzunehmen. Auch für ihn, wie einst für den Vater, werden die Niederlande das Ziel
gewesen sein. Was er an Skulpturwerken dort gesehen hat, vermögen wir heute nicht mehr zu
ermessen, nachdem der Bildersturm so gut wie nichts von all dem Reichtum übrigließ, der einst
an Grabmälern und Altären dort vorhanden war. Von der Höhe der zeitgenössischen Plastik
geben uns nur noch einige Reste Kunde. Die Kunst des großen Niederländers in Straßburg aber,
die wie viele andere auch Michel Erhärt beeinflußt hat, ist in der späteren Entwicklung des
Sohnes ohne Nachhall geblieben. Nur durch das Medium des Vaters ist in seiner frühesten
Schöpfung, dem Thalkirchner Altar, ein Niederschlag Gerhaertschen Wesens wirksam. Was ihn
anziehen mußte, war die Kunst, die über den Vater und auch über Nikolaus Gerhaert entwick/
lungsgeschichtlich hinausführte, die eigentliche Spätgotik. Die Kunst also, die mit den Errungen/
schäften des Naturalismus neue Impulse gotischer Formgebung verband und damit zu einer
neuen Stilisierung und Vergeistigung gelangte. Rogier van der Weyden war der Führer dieser
Richtung in den Niederlanden. Schon Michel Erhärt ist ihm durch die seelisch vertiefte Menschen/
gestaltung stark verpflichtet worden, ohne daß er dessen extreme Gotisierung übernommen hätte.
Als Gregor in die Niederlande kam, war eine neue Generation am Werk. Nach Jan van Eyck
und nach Rogier war ein drittes Gestirn am Kunsthimmel aufgegangen: Hugo van der Goes.
Das Verhältnis von Blüte und Knospe, das den jüngeren Meister gegenüber Rogier charakterisiert,
ist das nämliche, das in der Folge Gregor Erharts Werke von denen Michels unterscheidet.
Die Gemälde des Hugo van der Goes, als das Modernste, das damals zu sehen war, scheinen
neben Memling den Schwaben am stärksten und nachhaltigsten beeindruckt zu haben. Die ein/
gehende Charakterisierung der Menschen in allen seelischen Äußerungen, die spätgotische Linien/
freude, die Feinheit der Ausführung und die Brillanz der Farben konnten die Richtung weisen
nicht nur für die Typen seiner Gestalten und die dekorative Fülle des Faltenstils, sondern auch für
die Subtilität und den seltenen Schmelz der farbigen Fassung, durch den sich Gregor Erharts
Werke auszeichnen.

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