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DIE ERSTEN WERKE IN AUGSBURG
Im selben Jahr noch, wie der Blaubeurer Altar vollendet war, hat Gregor Erhärt seine Vaterstadt
verlassen und ist nach Augsburg übergesiedelt. Sein Schwager Adolf Daucher war ihm 1491
schon vorausgezogen20. Man pflegt diesen Ortswechsel Gregors als symptomatisch für den
Wandel seiner Kunstauffassung und für die anbrechende Herrschaft der Renaissance zu be/
trachten. Sicher kann man Ulm die Stadt der Gotik nennen, wie Augsburg der Vorort der
Renaissance geworden ist. Zur Zeit von Gregors Umzug aber lagen die Dinge doch noch anders.
Ulm stand noch auf der Höhe der künstlerischen Leistung. Gleichzeitig mit dem Blaubeurer
Altar Gregor Erharts entstand in der Werkstatt des Vaters jener große Altar für das Kloster
Weingarten, zu dem Holbein d. Ä. die Flügel malte. Kurze Zeit später tat Syrlin d. J. mit dem
Bingener Altar den Schritt zur großen, vereinfachten Form, einer Renaissance ohne italienisches
Vorbild, und Bartholomäus Zeitblom schuf Gemälde, die in der Klarheit und Ruhe der Ge/
stalten dem gleichen Ziel zustrebten. In Augsburg dagegen war im letzten Jahrzehnt des 15. Jahr/
hunderts die künstlerische Lage noch ungeklärt. Die einheimischen Bildhauer vermochten der
Plastik noch kein eigenes Gepräge zu geben, nur Hans Beierlein, der Schöpfer der Bischofs/
grabmäler, ragte als fest umrissene Persönlichkeit hervor21. Die Malerei war die führende Kunst.
An Aufgaben für bedeutende Bildhauer fehlte es in Augsburg nicht, wohl aber an geeigneten
Kräften. Als Ulrich Fugger 1485 einen Altar für St. Ulrich u. Afra stiftete, mußte er sich mit
seinem Auftrag nach Ulm, an Michel Erhärt wenden. Und ebenso war es Michel Erhärt, den
der kunstsinnige Prior und spätere Abt von St. Ulrich, Konrad Mörlin, bei der Ausschmückung
der Klosterkirche heranzog. Ja, er scheute keine Mühe, suchte Gönner zu gewinnen und leitete
eine Sammelaktion ein, um das nötige Geld zusammenzubringen, als er Gelegenheit hatte, von
dem Ulmer Meister ein besonders schönes und teures Kruzifix zu erwerben, nachdem er im
gleichen Jahr 1495 schon einmal ein Kruzifix von ihm bezogen hatte22. Aber auch die beiden
wichtigsten Aufträge der neunziger Jahre, die Mörlin zu vergeben hatte und die ihm besonders
am Herzen lagen, sind, wie ich nach dem Stilbefund glaube, Michel Erhärt übertragen worden:
das schon erwähnte Simpertusgrabmal und Mörlins eigenes Epitaph (Abb. 4), das er gleich nach
seinem 1497 erfolgten Regierungsantritt als Abt mit Genehmigung des Konvents anfertigen ließ23.
So wird Michel Erhärt, der die Augsburger Verhältnisse kannte, erst den Schwiegersohn und später
den Sohn veranlaßt haben, Ulm mit Augsburg zu vertauschen, wo das Verhältnis von Angebot
und Nachfrage weit günstiger lag. Die aufstrebende Handelsstadt, in der sich der Reichtum
häufte, die bald Beziehungen zur ganzen Welt unterhielt, in der Menschen aller Nationen zu/
sammenströmten und die der Kaiser zu seiner oft besuchten Wahlheimat machte, mußte auch den
Künstlern ganz neue Entwicklungs/ und Verdienstmöglichkeiten bieten.
20. Vgl. Wiegand, Adolf Dauer (Straßburg 1903) S. 10. 21. Vgl. Hahn, Studien zur süddeutschen Plastik I (Augsburg 1926)
S. 102ff. 22. Vgl. Wittwer, Catalogus Abbatum monastetii SS. Udalrici et Afrae, Augsburg, Bischöfl. Bibliothek; abgedruckt
bei Steichele, Archiv für die Geschichte des Bistums Augsburg III (Augsburg 1860) S. 392. 23. Vgl. Wit wer a. a. O. S. 361.
Mader a. a. O. teilt dieses Epitaph dem Gregor Erhärt zu und macht es zum Ausgangspunkt seiner gesamten Forschung über das
Lebenswerk Gregor Erharts.

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