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dessen Skulpturen 1502 bei Gregor Erhärt bestellt worden waren, so werden wir wieder auf
Gregor Erhärt als Meister des Blaubeurer Altars geführt. Endlich bezeugen gerade diese beiden
Madonnenfiguren, daß ihr Meister eine Wandlung von der Spätgotik zur Kunst des 16. Jahr/
hunderts durchgemacht hat. Das Ulmer Werk trägt die Züge der späten Gotik, das 10 Jahre
später in Augsburg gefertigte Werk gehört der deutschen Renaissance an. Von Gregor Erhärt steht
aber urkundlich fest, daß er seinen Ulmer Wohnsitz bald mit Augsburg vertauscht hat. Einen
Teil der Arbeiten, die er dort in Auftrag bekam, konnte aber nur ein Bildhauer schaffen,
der die neue, große Form beherrschte.
So wird man mit einleuchtenden Gründen Gregor Erhärt als den Meister des Blaubeurer Altars
ansprechen dürfen. Trotzdem scheint es mir fraglich, ob er ihn in eigener Werkstatt geschaffen
hat. Die Gesprengfiguren von Gesellenhand weisen auf die Werkstatt des Vaters. Ja, man darf
zweifeln, ob Gregor in Ulm überhaupt jemals eine eigene Werkstatt besessen hat, nachdem er in
den Ulmer Steuerbüchern nicht eingetragen ist und auch sonst in Ulmer Urkunden nicht vor/
kommt. Auch der Umstand, daß er erst in Augsburg geheiratet hat, läßt eine selbständige
Stellung in Ulm zumindest zweifelhaft erscheinen. Andererseits war Gregor Erhärt zur Zeit der
Entstehung des Blaubeurer Altars nicht mehr so jung, wie es lange Zeit angenommen wurde.
Der Thalkirchner Altar fixiert den Beginn seines Schaffens ziemlich genau auf die Zeit um
1483/84. Zehn Jahre später erst ist der Blaubeurer Altar gefertigt. Der Stilwandel, der sich in ihm
bekundet, entspricht den allgemeinen Entwicklungsgesetzen des schaffenden Menschen. Aus der
naiven Könnerschaft seiner naturnahen Frühwerke hat ihn die Problematik des reifenden
Künstlers zu der spätgotischen Stilisierung der Blaubeurer Figuren geführt. Vom Standpunkt
einer naturalistischen Kunstbetrachtung mußte diese Entwicklung als Rückschritt erscheinen.
Und so haben auch frühere Beurteiler des Blaubeurer Altars nicht selten die Vergeistigung seiner
abstrakten Formensprache als das Nichtkönnen eines Anfängers getadelt. Eine bewußte Stilb
sierung, wie sie den Blaubeurer Figuren zugrunde liegt, setzt aber einen geistigen Umsetzungs/
prozeß voraus, wie er Anfängern noch nicht zugänglich ist. Künstlerisch betrachtet bedeutet der
Blaubeurer Altar eine ganz selbständige, geschlossene und sehr persönliche Leistung. Die nieder/
ländischen Anregungen haben Gregor Erhärt in keinem Fall zu einer sklavischen Nachahmung
verleitet. Wie für alle Großen war auch für ihn die Auseinandersetzung mit dem Fremden der
Anlaß, sich selbst zu finden, erst ganz bewußt die eigene Art zu pflegen und zu entwickeln. Mit
diesem hervorragenden Werk stellt sich Gregor Erhärt schon in jungen Jahren in die Reihe der
bedeutendsten Bildhauer der Zeit. In der gemessenen Ruhe und Ausgeglichenheit, der Ver/
bindung von Innerlichkeit und monumentaler Form veranschaulicht er den schwäbischen
Stammescharakter in vollendeter Ausprägung.
 
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