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DAS ULMER HAUPTWERK: DER BLAUBEURER ALTAR

Die Anregungen aus Gregor Erharts Wanderzeit haben im Blaubeurer Altar ihren Nieder/
schlag gefunden. Ein gereifter, in seinem künstlerischen Wollen gefestigter Künstler von sehr
persönlicher Art tritt uns hier entgegen. Waren die ersten Arbeiten mehr aus freier Intuition
entstanden, im selbstsicheren Kraftgefühl der Jugend, so liegt den Blaubeurer Werken ein be/
wußtes Stilwollen zugrunde. Und dieses Stilwollen ist, im Gegensatz zu den natürlichen
Schöpfungen seiner Anfängerzeit, ausgesprochen spätgotisch. Diese Entwicklung lag in derZeit.
Allgemein steigt in Deutschland in den neunziger Jahren die Welle gefühlsbetonter, gotisch
stilisierender, irrationaler Formgebung zur höchsten Höhe an, um erst gegen die Jahrhundert/
wende in den großen Strom einer beruhigten, geklärten und wieder dem Diesseits verbundenen
Gestaltung einzumünden. Was aber Gregor Erhärt von den Hauptvertretern dieses Stiles, von
Riemenschneider oder Grasser oder von dem großen Kefermarkter unterscheidet, und was sein
Eigenstes und Persönliches bedeutet, das ist die Verbindung dieser spätgotischen Form mit einer
monumentalen Gesinnung, die aus der Ruhe und Einfachheit seines schwäbischen Erbes floß,
die ihn vor Extremen bewahrte und seinem Werk die Größe und Bedeutung verleiht.
Die Volkstümlichkeit und Beliebtheit, die der Blaubeurer Altar in weitesten Kreisen erlangt hat,
beruht nicht zuletzt auf dem zauberhaften Zusammenklang von Natur und Kunst, die der Be/
sucher des ehemaligen Benediktinerklosters von Blaubeuren erlebt. In dem lieblichen Tal zu
Füßen der steilen Albberge, neben dem geheimnisvoll schillernden Blautopf erhebt sich die spät/
gotische Klosterkirche, die in ihrem Chor das Kleinod birgt, dem die Wallfahrt der Kunst/
freunde heute noch gilt. Architektur und Innenausstattung der Kirche sind in ihrer ursprüng/
liehen Schönheit und Fülle erhalten und bilden den wirkungsvollen Rahmen für die festliche
Kunst des in Farben und Gold funkelnden Hochaltars, dessen alter Zustand vor einigen Jahr/
zehnten durch gründliche und verständnisvolle Reinigung zurückgewonnen worden ist.
Der mächtige, in der Mitte überhöhte Altarschrein ruht auf steinerner Mensa und hat doppelte
Flügel. Blieb der Schrein in der Passionszeit völlig geschlossen, so waren auf den Flügeln in
vier Feldern gemalte Szenen aus der Passionsgeschichte zu sehen, von denen das Gebet am Öl/
berg, die Dornenkrönung, Kreuztragung und Kreuzigung durch großes Format hervorgehoben
sind, während die übrigen Szenen sich im Hintergrund abspielen. Die geschlossenen Predella/
flügel weisen in Malerei die vier Evangelisten mit ihren Symbolen und zwei weitere Halbfiguren
auf, den Abt Fabri und Johannes den Täufer. Durch das Lamm Christi, das in der Mitte dar/
gestellt ist, wie durch die Unterschrift des Ecce agnus dei klingt auch hier das Passionsthema
wieder an, das ebenso im Gespreng mit den Figuren des Auferstandenen, des kreuztragenden
Engels, der trauernden Maria und des Johannes wieder aufgenommen wird. Sie sind auch
bei geschlossenen Flügeln sichtbar. Die Halbfiguren von Kirchenvätern und einzelnen Heiligen
auf Blattkonsolen bilden die übrige Füllung des reichen Gesprengs.
 
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