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Aber das sei betont: als Gregor Erhärt 1494 nach Augsburg zog, kam er, vom künstlerischen
Standpunkt aus gesehen, zunächst als Gebender und als Vertreter der reinsten Spätgotik. Die
neue Kunst der große Form war in diesen neunziger Jahren, soweit die erhaltenen Werke einen
Schluß zulassen, weder für ihn noch für einen anderen Augsburger Meister ein Problem24. Die
ersten Werke, die Gregor Erhärt auf Augsburger Boden schuf, sind Schöpfungen der gleichen
spätgotischen Gesinnung, wie sie der Blaubeurer Altar vertritt. Und Auftraggeber blieb zunächst
noch immer die Kirche.
Der erste Auftrag, von dem wir hören, ging von demselben Kloster St. Ulrich aus, das auch den
Vater beschäftigt hat. Clemens Sender, der Klosterchronist und selbst Konventuale von St. Ulrich,
berichtet, daß 1498 ein steinernes Kruzifix im Friedhof des Klosters aufgerichtet worden sei,
„quod ingeniosus magister Gregorius Erhärt Ulmensis, nunc Augustensis sua industria propriis
manibus sculpsit“25. Das Kruzifix ist nicht erhalten. Sender hat seine Chronik erst nach lang'
jährigen Vorarbeiten, frühestens in den zwanziger Jahren des neuen Jahrhunderts, niederge/
schrieben26. So bleibt es unbestimmt, ob sich Gregor Erhärt schon damals, bald nach seiner
Übersiedlung, des Rufes als ingeniosus magister erfreute, oder ob der Chronist, rückblickend
von der gesicherten Position des allgemein bekannten Meisters, dessen Vergangenheit beurteilt.
Jedenfalls war Gregor Erhärt bei Abt Mörlin von Anfang an geschätzt. Das bezeugt eine andere
Arbeit, die er in den späteren neunziger Jahren für St. Ulrich zu fertigen hatte und die sich
erhalten hat, eine überlebensgroße Muttergottes, die heute im Maximilians'Museum in Augsburg steht
(Taf. 52). Möglicherweise stellt sie die Mittelfigur eines ganzen, nicht auf uns gekommenen
Altares dar, obwohl sie in der Geschlossenheit ihres Aufbaus der korrespondierenden Verbindung
mit Nebenfiguren nicht bedarf. Klar und in großen durchgehenden Zügen ist die Figur gcv
staltet, von allen in der Zeit üblichen unruhigen kleinteiligen Faltenelementen ist abgesehen, das
plastische Grundgefühl spricht aus jeder dieser mächtigen Röhrenfalten. Der Körper bleibt unter
der Gewandung sichtbar. Er ist wie meist in den neunziger Jahren, einer gotischen S'Kurve einge/
schrieben und unterstreicht damit die Gefühlsbetonung, die auch in den Zügen der besinnlich
vor sich blickenden Madonna liegt. Mütterlich schließen sich die Hände um den wohlig/weichen
Körper des Kindes, das den Blick zum Beschauer gewendet, das Segenshändchen erhebt.
Den engen stilistischen Zusammenhang, der zwischen der Madonna von St. Ulrich und der
Blaubeurerin besteht, hat Vöge in feinsinniger Analyse der gemeinsamen charakteristischen
Merkmale hervorgehoben: den Aufbau in den hochstrebenden Vertikalen der dicken Faltern
röhren, die Bildung des Kopfes mit den flach liegenden Augen, der dachartig abfallenden Ober/
lippe und dem vorstehenden Kinn mit dem Grübchen darin, die Hautrillen am Hals. So sehr
24. Das Silberaltärchen von 1492, abgebildet bei Gröber, Schwäbische Skulptur der Spätgotik (München 1922) Abb. 89, bedeutet
darin keine Ausnahme. Die Figuren sind rein spätgotisch aufgefaßt, nur die Putten und Engelsköpfchen sind von italienischen
Vorbildern übernommen, die Rundbogenarkaden noch ohne Verständnis für ihre architektonischen Konsequenzen verwendet.
25. Vgl. Urkundenanhang S. 91 sowie Sender, Chronographia VII Bl. 29a, Augsburg, Bischöfl. Ordinariatsarchiv E 68; abge/
druckt bei Mader a. a. O. S. 159, vgl. ferner die deutschgeschriebene Chronik des Clemens Sender Bl. 153 v., Augsburg, Stadt'
bibliothek, abgedtuckt in Chroniken der deutschen Städte XXIII, Augsburg IV (Leipzig 1894) S. 69. 26. Vgl. Vogt, Die
Augsburger Chronik des Clemens Sender, Zeitschrift des Histor. Vereins für Schwaben und Neuburg 21 (1894) S. 154.

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