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Schauplatzes, im Hintergrunde eine Flügelthür zum
Nebenzimmer, mit Portieren halb verhangen, in
deren einer versteckt unser getreuer Souffleur Panizza
bei Kerzenlicht seines Amtes walten sollte, rechts
seitwärts eine zweite Thür zum Abgang auf den

Korridor-------das war die Scene. Und dipht davor,

auf Athemsnähe, die erste Sesselreihe der Zuschauer,
sich nach hinten in ungewissem Dämmerlicht fort-
setzend, ja selbst die Abgangsthür rechts belagert
von einigen Herren aus dem Publikum, durch die
es beim Abtreten sich hindurchzuwinden galt.

Würde es möglich sein, all diese Hindernisse zu
meistern und trotz der furchtbaren Gegenständlich-
keit und Leibesnähe des einen Theiles am andern
doch die nöthige Trennung von Bühne und Publikum
festzuhalten und die Darstellung mit jener bewussten
eigenen Luftschicht zu umgeben, auf der alle
dramatische Illusion beruht?

Es gelang, und die Wahl des Stückes kam dem
Erfolge entgegen. Ein einfacher, wenig complicirter
Schauplatz, nicht unähnlich dem gewählten Räume,
kein Wechsel der Scene, kein Zwischenact, drei
Darsteller nur, Juliane Dery als Frau Thekla, Jul.
Schaumberger ihr erster Gatte Gustav, Max Halbe
sein jetziger Nachfolger Adolph, Zeit und Kostüm

Gegenwart--------so stellte das Drama im Aeussern

nur geringe Anforderungen an die Phantasie, indess
all sein Schwergewicht im Innern, in der seelischen
Analyse lag, genau wie es im Plane unserer Bühne
vorgesehen war.

Bald war die erste Befangenheit der Darsteller
überwunden, und schon in einigen Minuten war die
körperliche Nähe von Bühne und Publikum aufge-
hoben, an ihre Stelle eine desto innigere geistige
Verbindung gesetzt.

Als nach anderthalb Stunden die Tragikomödie
zu Ende gespielt war, da hatte sich die Lebens-

fähigkeit des «Intimen Theaters», zum mindesten
nach der Seite des naturalistischen Sprech- und
Seelendramas hin, vor einem erlesenen Kreise von
Sachverständigen erwiesen.

Es liegt nun im Programm unseres Unternehmens,
auch nach der entgegengesetzten Richtung hin, auf
dem Wege des phantastischen, vielleicht symbo-
listischen Dramas, mit dem oben umschriebenen
Stilprincip einer nur angedeuteten Bühnenaus-
stattung Versuche zu wagen. Ein erster Schritt
hierzu soll in der demnächst stattfindenden zweiten
Vorstellung des «Intimen Theaters» zunächst mit
einem altern Stücke der deutschen Litteratur ge-
macht werden, mit dem Lustspiel «Leonce und
Lena» von Georg Büchner, dem so früh verstorbenen
Dichter der dreissiger Jahre. Die Proben dazu sind
im Gange. Als Schauplatz wird diesmal ein Park
gewählt werden.

Für später sind dann die Dramen: «Toni Stürmer»
von Cäsar Flaischlen, desselben Autors «Martin
Lehnhardt», «Der süsse und der bittere Narr»
von Jacob Wassermann, «Niemand weiss es» von
Theodor Wolff", «Der Balkon» von Gunnar Geiberg,
«Fräulein Julie» von Strindberg u. A. mehr zur
Aufführung in Aussicht genommen.

Vielleicht gelingt es auf diese Weise, endlich
eine wirkliche und echte Sachverständigen-Bühne zu
gründen für jede Art von dramatischen Experimenten.
Reichliches Material ist da, neue Ideen durchsättigen
die Luft, Unbekanntes will sich vorbereiten, das
Publikum ist willig, seit die erste Probe geglückt
ist, Zeit und Stunde sind dem «Intimen Theater»
günstig, — so schliesse sich denn der Kreis und werde
dienstbar der Sache und nicht den Personen, der
Kunst und nicht der Partei.

München.

Max Halbe

C 109 3
 
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