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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0072
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Der Kupferstich „Melencoiia I“ und Ficino

das wichtigste die Regelung der Verdauung ist, so sehen wir am Bo-
den, diskret verhüllt, eine Klistierspritze: „das ist die allgemeine
Vorschrift bei melancholischer Veranlagung“, sag't ja Ficino, „daß, wenn
es not tut, durch Klistiere, der Unterleib stets glatt und gereinigt sei“.* 1)
Die medikamentösen Mittel bekämpfen die „natürliche“ Ursache,
die auf der Verwandtschaft zwischen der Denktätigkeit und den Eigen-
schaften der „erdhaften“ schwarzen Galle beruht2); sie sind vertreten
durch den Blätterkranz, den sich die Frau ums Haupt gewunden hat,
ein künstlerischer Ausdruck für die Vorschrift Ficinos und anderer
Arzte, daß der Melancholiker sich „feuchter Kräuter“ bedienen solle,
die er „nach Plaster’s Weis’“ aufs Haupt zu legen habe.3) Die ma-

est. Quapropter subtilibus clarioribusque sanguinis partibus saepe consumptis
reliquus sanguis necessario densus redditur et siccus et ater . . . Demum nimio
membrorum otio neque superflua excernuntur, neque glutinosi tenaces fuscique
vapores exhalantur. Haec omnia melancholicum spiritum, moestumque et pavidum
animum efficere solent.“

1) Zitat siehe oben p. 40, Anm. 3.

2) D. v. tr. 1,4 (Op. p. 496) (vgl. auch 1,6, op. p. 498/499): „Naturalis
autem causa esse videtur, quod ad scientias, praesertim difficiles consequendas, ne-
cesse est animum ab externis ad interna, tamquam a circumferentia quadam
ad centrum sese recipere atc[ue, dum speculatur, in ipso (ut ita dixerim) hominis
centro stabilissime permanere. Ad centrum vero a circumferentia se colligere
figique in centro, maxime terrae ipsius est proprium, cui quidem atra bilis persi-
milis est. Igitur atra bilis animum, ut se et colligat in unum et sistat in uno con-
templeturque, assidue provocat. Atque ipsa mundi centro similis ad centrum
rerum singularum cogit investigandum, evehitque ad altissima c^uaeque comprehen-
denda, quandocjuidem cum Saturno maxime congruit aliissimo Planetarum. Con-
templatio quoque ipsa vicissim assidua quadam collectione et quasi compressione
maxime naturam atrae bili persimilem contrahit.“ Der Satz, ,,daß der Geist zur
Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse sich notwendig von den äußeren Din-
gen zu den inneren wende, gleichwie von der Peripherie zum Zentrum, uncl wäh-
rend des Denkens gewissermaßen im Zentrum des Menschen verweile“, darf also
nicht aus dem Zusammenhang herausgelöst und dahin gedeutet werden, daß Ficino
dem Melancholiker an dieser Stelle „geistige Konzentration“ empfehle. Jenes
Gleichnis hat lediglich den Zweck, auf eine etwas gequälte VVeise den ursäch-
lichen Zusammenhang zwischen der melancholischen Veranlagung und der
besonderen Qualifikation zu geistigem Arbeiten — umgekehrt zwischen geistigem
Arbeiten und mclancholischer Erkrankung — zu begründen: Denken bedeutetWen-
dung von außen nach innen, gleichsam von der Peripherie zum Zentrum — von der
Peripherie zum Zentrum zu streben, ist eine Eigenschaft der Erde — der Erde ent-
spricht die schwarze Galle — folglich regt die schwarze Galle zum Denken an,
wie umgekehrt (vicissim) die Kontemplation als eine andauernde „collectio“ oder
„compressio“ einen der Schwarzgalligkeit verwandten Charakter im Gefolge hat.

3) In Giehlovvs unveröffentlichter Arbeit wird der Nachweis versucht, daß es
sich - entgegen der bisherigen Annahme — bei dem Blätterkranz der Melan-
cholie nicht um die spezifisch antimelancholische Heilpflanze „Teucrium“ (Sola-
num dulcamara) handle — ein gleiches wird uns von Herrn Prof. S. Killermann-
Regensburg sowie vom botanischen Institut der hamburgischen Universität freund-
lichst bestätigt —, vielmehr um ein nicht näher zu bestimmendes Gewächs, das
aber jedenfalls mit der auf dem Holzschnitt B. 130 dem „Auster“ und der ,,Aqua“

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