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Panofsky, Erwin <Prof. Dr.>
Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst — Leipzig, Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.29796#0208
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182

Hercules Prodicius

fallen muß. H. Tietze und E. Tietze-Conrat haben nämlich darauf auf-
merksam gemacht, daß rechts im Hintergrund ein winzig kleiner Löwe
wandelt1); und wenn wir weiterhin beobachten, daß Hercules seinerseits
noch nicht in eine Löwenhaut, sondern in das Fell eines friedlichen Zwei-
hufers, vermutlich eines Kalbes, gehüllt ist, so werden wir zu der Ver-
mutung gedrängt, daß Dürer uns mit diesen beiden kaum zufällig kom-
binierten Motiven einen chronologischen Fingerzeig zu geben beabsich-
tigt : er will uns sagen, daß die dargestellte Szene vor der Erlegung des
Nemäischen Löwen spielt.

Man wird also in den Quellen nach einer Herculestat Umschau halten,
die einerseits mit den Gegebenheiten des Holzschnitts vereinbar ist,
andererseits aber noch vor dem Löwenabenteuer erzählt wird. Und bei
der im ganzen noch recht altertümlichen Auffassung und Formgebung —
antikisch-italienisch sind eigentlich nur die beiden Frauengestalten, wäh-
rend selbst das Bewegungsmotiv der Hauptfigur eher auf ein nordisches
Vorbild zurückweist2) — liegt es sehr nahe, mehr die mittelalterlichen,
als die klassisch-antiken Autoren zu Rate zu ziehen. Tatsächlich scheint
denn auch der große Thesaurus der mittelalterlichen Mythenkunde, der
vielberufene „Mythographus III“, die literarische Quelle des Dürer-
Holzschnitts gewesen zu sein.

In unmittelbarem Anschluß an einen allgemeinen Vorbericht, der
über Namen, Abstammung und allegorische Bedeutung des Hercules Auf-
schluß gibt, wird hier als dessen erstes Abenteuer die Überwältigung
desCacus genannt3), die — da der Name schon seit Ausgang des Alter-
tums durchweg als xaxo<;, der Böse, interpretiert wurde — dem mittel-
alterlichen Denken als Auftakt eines tugendreichen Heldenlebens be-
sonders geeignet erscheinen mochte.4) Nachdem der bekannte Hergang —
der Diebstahl und die listige Verbergung der von Hercules eroberten
Geryones-Rinder, die Entdeckung des Räubers und seine Bestrafung —
geschildert und moralisch ausgelegt worden ist, wird nun (in wörtlicher
Anlehnung an Fulgentius) von Cacus Folgendes ausgesagt: ,,Ideo et du-
plex dicitur, quia malitia multiformis, non simplex est.“5)

1) Der junge Dürer, S. 25.

2) H. und E. Tietze, Der junge Dürer, S. 25, verweisen auf einen Hl. Georg der
Schongau erschule (Abb. ebendort).

3) Vgl. oben S. 147.

4) Über die mythologische Gestalt des Cacus, die natürlich mit dem griechischen
xaxoq nicht das mindeste zu tun hat, vielmehr eine spezifisch römische, erst nachträglich
in den Herculesmythus einbezogene Figur ist, vgl. außer den Artikeln bei Roscher und
Pauly - Wissowa vor allem die ausführliche Monographie von Fr. Münzer „Cacus der
Rinderdieb" (Programm zur Rektoratsfeier der Univ. Basel 1911), die sich aber ausschließ-
lich auf das antike Material beschränkt.

5) Mythogr. III, 13, 1, Bode, S. 246 (= Fulgentius, Mitol. II, 3, Helm, S. 42).
 
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