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Exkurs II. Zur Deutung von Dürers ,,Ercules“-Holzschnitt 183

Diese Angabe scheint nun mit Dürers Holzschnitt in einer merkwürdi-
gen Übereinstimmung zu stehen. Ist es schon auffallend, daß Hercules zwei
Gegner besiegt — zu viel für ein Duell wie mit Antäus oder Geryones, und zu
wenig für einen Massenkampf wie mit den Mannen des Busiris, Eurytus oder
Laomedon1) — so ist es noch auffallender, daß diese beiden Gegner etwas
wie eine „symmetrisch addossierte Gruppe“ bilden: ganz anders,
als wir es sonst zu sehen gewohnt sind, ist der eine bäuchlings, der andere
rücklings zu Boden gefallen, so daß sie mit den Rücken aufeinander liegen;
man kann vielleicht bezweifeln, daß sie wirklich zusammengewachsen
wären (wenngleich ein Mediziner die Gestalt sofort als einen typischen
„Pygopagen“ ansprach); aber man hat auf jeden Fall den Eindruck eines
Doppelwesens, dessen eine Hälfte mitfallen muß, wenn die
andere fällt, — einer sehr wörtlichen, und eben deshalb sehr Düreri-
schen Illustration des „Duplex“-Begriffs, die wohl mit den eben so küh-
nen Text Verbildlichungen der Apokalypse vergleichbar ist.2)

Es ist also schon von hier aus nicht ganz unwahrscheinlich, daß
Dürer — in seinem oben näher begründeten Originalitätsstreben ein sonst

1) Ein Gegner-Paar scheint sonst nur einmal erwähnt zu werden: die Neptun-
söhne „Albio“ und „Bargio“ (recte „Alebion" und „Derkynos“; vgl. Apollodor, Biblioth.
II, 5, 10, 8 und Pomponius Mela, Chorographia II, 78, danach Boccaccio, Geneal. Deor.
X, 12 und XIII, 1 als zwanzigste Herculestat). Aber dies Abenteuer kommt nicht in Be-
tracht, da jene Gegner nicht durch Hercules selbst, sondern durch einen ihm von Jupiter
zu Hilfe gesandten Steinregen gefällt werden.

2) Vgl. Wölfflin a.a. O., S. 62 und 70, ferner Panofsky, Dürers Stellung zur Antike,
S. 64 (S. 22 der Separatausg.).

Nicht leicht zu beantworten ist die Frage, was das „duplex“ der Texte eigentlich
heißen soll. Drei Erklärungen bieten sich dar. 1. Das Wort könnte in der für Fulgentius
vorauszusetzenden Quelle in übertragener Bedeutung (hinterlistig, verschlagen) gebraucht
und dann von ihm im Sinne einer konkreten Eigenschaft mißdeutet worden sein. 2. Cacus
wird bei Virgil, Aeneis VIII, 194 als „Semihomo“ bezeichnet — ein Epitheton, das hier
nichts anderes als „halb wild“ bedeutet, das aber in jüngerer Zeit zum Anlaß geworden
ist, den diebischen Räuber zum Zentauren zu machen („Libellus“, Liebeschütz, S.126 und
Villena, fol. XX v der Ausg. von 1483 und fol. XX r der Ausg. von 1499). Könnte diese
Umdeutung schon für die Spätantike vorausgesetzt werden, so wäre das „duplex“ so zu
deuten, wie bei dem „duplex Hylaeus“ des Statius (Thebais IV, 40). 3. Das „duplex“ des
Fulgentiustextes ist ein in der Folge festgewordener Schreibfehler für „triplex“. Properz
hat nämlich den Cacus in Analogie zum Geryones als dreiköpfig auf gef aßt (Eleg. IV, 9,
10), und daß dem Fulgentius diese Anschauung vorschwebte, wird durch die Moralisation
sehr wahrscheinlich gemacht. An den im Text zitierten Satz schließt nämlich folgende,
auch vomMythogr. III übernommene Ausführung an: „Triplici etiam modo nocet malitia,
aut in evidenti ut potentior, aut subtiliter ut falsus amicus, aut occulte ut impossibilis
latro", was kaum einen Sinn hätte, wenn eben nicht im Vorangehenden „triplex“ gestanden
hätte. Tatsächlich findet sich in einem Codex, der gerade in diesem Kapitel auch sonst
die besseren Lesarten hat, folgende Textgestalt: „Ideo et triplex, quod malitia triformis,
non simplex sit“ (cod. Bern. 427, vgl. Helm 1. c.). Für unseren Zusammenhang ist diese Frage
vergleichsweise unwichtig, nur wäre es ein lustiges Zufallsspiel, wenn sich die ikono-
graphischen Sonderbarkeiten eines Dürerschnittes letztlich auf einen traditionell geworde-
nen Abschreibfehler in einem Fulgentiustext zurückführen würden.
 
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