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184

Hercules Prodicius

noch nie beachtetes Epitheton verbildlichend — den Kampf zwischen
Hercules und Cacus hat darstellen wollen, wobei die überprächtige
Rüstung des Rinderdiebes zwar auf den ersten Blick befremden, aber
keineswegs der Deutung widersprechen kann; denn Cacus, immerhin ein
Sohn des Vulkan, hat vielen mittelalterlichen Autoren als „König“ ge-
golten1), und auch das vorgeschrittene 16. Jahrhundert hat, wie wir gleich
sehen werden, an der prachtvollen Bewaffnung keinerlei Anstoß genom-
men (Abb. 115)2). Dazu kommt aber nun die Tatsache, daß auch die beiden
Nebenpersonen des Holzschnitts aus dem „Mythographus III“ in rela-
tiv ungezwungener Weise erklärt werden können. Dort heißt es nämlich,
wenige Zeilen weiter unten: ,,Hunc soror sua eiusdem nominis prodidit,
unde etiam sacellum meruit, inquoei per virgines Vestae sacrificabatur.“
Cacus besaß also eine Schwester, die „Caca“ hieß, und die dem Her-
cules ihren Bruder verraten hatte.3) Und wenn wir das verzweifelte
Mädchen des Holzschnitts mit dieser „Caca“ identifizieren würden,
erhielte das Ganze einen recht verständlichen Sinn: sie, die, wenn auch nur
fahrlässigerweise, durch den Verrat des Rinderdiebstahls den Tod ihres
Bruders verschuldet hatte, hat alle Ursache, über die Folgen ihres Handelns
entsetzt zu sein; und sie hat es vor allem auch, im Gegensatz zu Iole, ver-
dient, von einer Eumenide gepeinigt zu werden. Cacus war ein gefährlicher
Räuber und hatte sein Leben vielfach verwirkt. Allein es war der festeste
antike Glaubensgrundsatz, daß Eltern- oder Brudermord auch durch die
größten Missetaten des Getöteten niemals entschuldbar sei. Wer willentlich
oder versehentlich einen Blutsverwandten getötet hatte, war der Erinys ver-
fallen, selbst wenn das Opfer eine Klytämnestra war. So könnte denn das
furienhafte Wesen, das die „Caca“ verfolgt, recht wohl als die „Erinys
fraterna“4) interpretiert werden, die den (fahrlässigen) Brudermord rächt.
Sie wäre die einzige Figur, die in der Cacuserzählung des „Mythographus

1) Vgl. z. B. den französ. Ovide moralise, fol. 226 r des Drucks von 1484 und fol.
N3 r des Drucks von 1493: ,,Le roy Cachus, filz de Vulcanus“; ferner den Recueil des
Histoires de Troie (Summer a. a. O., Bd. II, S. 415ff.).

2) Auch der dreiköpfige Geryones der oben S. 100 zitierten Cranachschen Hercules-
folge trägt eine ganz ähnliche Prachtrüstung.

3) In der Antike ist dieses junge und sinnlose Mythologem nur zweimal überliefert:
bei Servius, Comm. in Aen., VIII, 190, woher es der Mythogr. III wörtlich entlehnt hat,
und bei Laktanz, Div. Inst. I, 20, 36: „Colitur et Caca, quae Herculi fecit indicium de furto
boum.“ Später finden wir es noch in Mythogr. II, cap. 153 und in Boccaccios Geneal.
Deor. XII, 76: ,,Alii vero volunt a Caca sorore Caci fratris furtum Herculi revelatum . . .“

4) Der Ausdruck begegnet bei Valerius Flaccus, Argonaut. IV, 617. Vgl. auchClau-.
dianus, In Rufinum I, 74 ff. (schon in Boccaccios Geneal. Deor. III, 9 zitiert, wenn auch
mit ungenauer Quellenangabe), wo von der Furie Megaera gesagt wird:

„Non nisi quaesitum cognata caede cruorem
Illicitumque bibit, patrius quem fuderit ensis.

Quem dederint fratres ..."
 
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