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Panofsky, Erwin <Prof. Dr.>
Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst — Leipzig, Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.29796#0220
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194

Hercules Prodicius

Hausesx): ein geharnischter Mann mit einem Sonnenantlitz, der, auf
einem Tetraeder stehend, in der einen Hand einen Lorbeerbaum, in der
andern eine Dattelpalme hält, während zu seinen Häupten die Fama
fliegt und ihm zu Füßen eine honigsüße, von Bienenschwärmen auf-
gesuchte Quelle entspringt (Abb. 117—119).* 1 2)

Wenn aber dem in dieser Erfindung sich bekundenden Willen zur
unbedingten Vereinheitlichung der Tugendpersonifikation kein ebenso
entschiedener Wille zur Vereinheitlichung der Lasterpersonifikation ent-
spricht (denn während der Fama ein Satyr und der bienenbevölkerten
Honigquelle ein Schlammstrom mit einem sich darin herumsielenden
Schwein gegenübersteht, begnügt sich die Darstellung des Lasters als
solchen noch immer mit jenen „siebenTiergestalten“, dieFilarete selbst
als traditionelles Motiv bezeichnet), so findet das darin seine Begrün-
dung, daß, wie wir wissen, die Renaissance die Vielheit der Laster viel
länger als selbstverständlich voraussetzte, als die Vielheit der Tugen-
den.3) Es ist ja auch völlig begreiflich, daß der aufkeimende Vereinheit-
lichungswille sich zunächst mehr nach der positiven als nach der nega-
tiven Seite hin betätigte, —daß das primäre Streben des Humanismus
sich auf die Wiederbelebung der antiken ’ApeHj-Virtus richtete, der
gegenüber die antike Kaxia-Voluptas das nicht nur moralisch, sondern
auch systematisch Geringwertigere war: in dem durch Stoa und Peripatos
in gleicher Weise sanktionierten Begriff der „Virtus“ schien sich der
ganze Inhalt eines antiken und eben deshalb modernen Menschlichkeits-
ideals zusammenzufassen.

Neben dieser für die Entwicklungsgeschichte des Tugendbegriffs
grundsätzlich wichtigen Neuerfindung interessiert uns natürlich auch die
kurze Relation der Prodikosfabel als solcher. — Schon der Herausgeber
des Filarete-Traktates hat darauf hingewiesen, daß die Quellenangabe
des italienischen Urtextes („Vero e, che Seneca le descrive . . .“) nicht
zutreffe, da die Entscheidungsfabel bei diesem Schriftsteller nicht vor-
komme ; und er hat diesen Irrtum damit zu erklären versucht, daß Filarete

Revers der bei Lazzaroni-Munoz, S. 227 abgebildeten Selbstporträt-Medaille mit der
Umschrift „VT SOL AVGET APES SIC NOBIS COMODA PRINCEPS" enthält kaum
zufällig alle Bestandteile der Virtus-Allegorie: das Sonnenantlitz (hier dem Fürsten ver-
glichen), die Bienen, den Lorbeerbaum (in dessen Höhlung die Bienen ihre Zellen angelegt
haben) und die an dessen Wurzel entspringende Quelle. Der Künstler hat sich selbst mit
dargestellt, wie er an einer Biene ziseliert.

1) Traktat XVIII = v. Oettingen, S. 510.

2) Die hier wiedergegebenen Zeichnungen des Magliabecchianus sind auch bei Lazza-
roni-Munoz, Tafel 13,5 und Tafel 14,1 und 2 reproduziert.

3) Vgl. oben S. 166.
 
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