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Exkurs III. Die Tugend- und Laster alle gor ie des Antonio Averlino Filarete 193

typus, der die Tugend „rapresentasse in una sola figura“; aber
genau wie wir uns bei allem „Lesen und Herumfragen“ immer wieder
auf die Darstellungen der sieben Einzel-Virtutes zurückgeführt sahen1),
so ergeht es auch ihm: er sieht sich beständig auf die „quattro virtü
cardinali et le tre theologiche“ verwiesen, und findet niemanden, der
„Tugend“ und „Laster“ so dargestellt hätte, „che in una figura
comprendere si potesse l’uno essere il vitio et l’altra la virtü“.
Zwar kennt er die Personifikationen der Prodikoserzählung, aber diese
beiden klassisch einfachen Frauengestalten vermögen den Ansprüchen
seines an „hieroglyphische“ Kompliziertheit gewöhnten Geistes nicht
Genüge zu leisten („si che, vedute tutte queste similitudini et intese,
non nella mente mi sodisfaceva“); und da die kunstvoller erdachten
Tugendbilder der Aristoteles-Handschriften anscheinend nicht in Fila-
retes Gesichtskreis getreten waren — womit wir übrigens das, was oben
über den esoterischen Charakter dieser Aristoteles-Illustrationen gesagt
wurde2), in willkommener Weise bestätigt finden —•, so suchte er die
Überlieferungslücke von sich aus zu schließen und gebar unter schweren
Mühen („collo ’ngenio mi missi a fantasticare et pensare tanto, che mi
venne nella mente . . .“) jene wahrhaft „gedankenreiche“ Allegorie der
Tugend und des Lasters „in una figura sola ciascuna di per se“, wie sie
in dem soeben abgedruckten Text beschrieben wird, und auf die ihr
Erzeuger so stolz war, daß er sie immer wieder als eine „herrliche und
merkwürdige, noch nie zuvor so dargestellte Sache“ preist3) und sie
nicht nur als Firstfigur des Tugend- und Lasterhauses und als Sopra-
portenmotiv an dessen Eingangspforten anbringen wollte4), sondern
auch als Deckelrelief eines „Libro di Bronzo“5) sowie als Wandgemälde
in der Loggia des Fürstenpalastes6) und als Schmuck seines eigenen

1) Vgl. oben S. i5iff.

2) Vgl. oben S. 152.

3) v. Oettingen, S. 306: „Cosa degnia e memorabile, e non e ancora fatta in altri
luoghi."

4) An dieser Stelle bemerken wir eine kleine Abweichung zwischen der italienischen
Urfassung und der auch sonst vereinfachenden lateinischen Übersetzung: nach der
italienischen Fassung soll das Hauptportal die beiden Allegorien vereinigt zeigen, während
die „Porta Areti“ noch einmal das isolierte Tugendbild und die „Porta Chachia“ noch
einmal das isolierte Lasterbild zeigt. Die lateinische Übersetzung erwähnt nur diese
Einzeldarstellungen und gibt für das Hauptportal lediglich die Inschrift „Vos, quicunque
huc intratis . . an.

5) Trattato IV = v. Oettingen, S. 132 (nur deutsch): das eherne Buch soll in eine
auf den Grundstein der ganzen Idealstadt zu setzende Urne gelegt werden.

6) Trattato IX = v. Oettingen, S. 306 (italienisch, aber gekürzt): in der Loggia
des Fürstenpalastes sollen die Allegorien der Tugend und des Lasters gemalt werden,
so wie sie auf dem Deckel des Erzbuches dargestellt seien; folgt eine Beschreibung, die
annähernd mit der hier wiedergegebenen aus dem XVIII. Buche übereinstimmt. Auch der

Studien der Bibliothek Warburg 18. Heft: Panofsky 13
 
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