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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 3.1914-1919

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Erstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2777#0131
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Der Beziehungswahn und das Problem der Kausalität. 125

sation«). Diese Kranken erfassen and beurteilen auch richtig die
tägliche Erfahrung, aber finden den kausalen oder finalen Nexus
nicht dort, wo er tatsächlich existiert.

Ich führe zwei Beispiele aus meiner Studie »Wie werden wir uns
des Seins bewußt« an.

1. Y. E. 26 J. alte Bahnwächtersgattin erzählt, daß sie vor einem halben
Jahre heftig erschrak, als sich ein Liebespaar von einem Eisenbahnzuge fiber-
fahren ließ. Zuerst drängten sich ihr viele Gedanken auf, sie fürchtete zu sprechen,
damit sie nicht verwirrt rede. Beständig sah sie das Liebespaar vor sich, bis
sie Kopfschmerzen bekam, wegen welcher sie nicht schlafen kann; sie ist traurig,
weint, ist unzufrieden, beständig denkt sie an den Tod, sie fühlt in sich den
Drang, sich selbst auch überfahren zu lassen.

Sie macht sich keine Selbstvorwürfe, aber beständig muß sie mit Selbstmord-
gedanken kämpfen. »Alles kommt mir tot vor, wie wenn es nicht wäre, wie
wenn es schon längst verschwunden wäre. Die Welt scheint mir nicht zu exi-
stieren, sie scheint mir verfallen und verdunkelt, es scheint mir, daß überhaupt
nichts ist.

Alles scheint mir zwecklos, ohne Ziel, das ist alles was rings
um mich geschieht, was ich selbst mache, geschieht ohne Not-
wendigkeit, ohne Nutzen, ohneZweck. DasLeben freut mich nicht,
ich empfinde für nichts Liebe. Die Kinder kommen mir wie tot vor, sie
gehen mich nichts an, wie wenn sie nicht mein wären.

Ich fühle mich selbst anders, es kommt mir vor, wie wenn ich gestorben
wäre«.

Sie ist sich dessen wohl bewußt, daß sie selbst redet, aber ihr Beden ist für
sie zwecklos.

»Ich fühle, daß ich rede, aber nur um zu reden, um mich zu erheitern, ich
rede deshalb, weil ich reden muß.«

Sie hat nicht das Gefühl als ob irgendein anderer aus ihr spreche. Auf die
Frage, ob es vor einem halben Jahre anders war, sagt sie: »Sonst habe ich die
Kinder geliebt, ich arbeitete mit Liebe, mit Gefühl, zu einem bestimmten Zwecke.
Jetzt verrichte ich es wie eine Maschine, weil ich muß, ich habe daran keine
Freude, ich kenne keinen Zweck meiner Arbeit«. Alles kommt ihr wie entfernt
vor: »Mit meinen eigenen Augen sehe ich Gegenstände und Bekannte, denen
ich begegne und sehe sie so weit, wie sie wirklich sind. Im Geiste aber sehe
ich sie ungeheuer weit, und wie in Dämmerung, wie wenn das alles nicht wahr
ware. Die ganze Welt kommt mir wie ein Spielzeug, wie ein Theater vor, wie
etwas Unwirkliches. Wenn ich die Gegenstände anschaue, sehe ich sie, aber mit
dem Verstände nehme ich sie nicht auf«. Über ihre zeitliche Orientierung gibt
sie an: »Daß Weihnachten war, weiß ich, aber es scheint mir, daß es schon
sehr lange vorüber ist, jede verflossene Zeit kommt mir schon längst erlebt vor«.

Im Laufe des halben Jahres verlor sie 4kg an Gewicht, sie ißt nicht, weil
es ihr zwecklos vorkommt. Sie ist blaß, am Herzen ist ein anämisches Geräusch.
Sonst ist der somatische und Nervenbefund normal.

2. K. L, 30 Jahre alter Lehrer. Im Vorjahre war er allzusehr mit der Vor-
bereitung zu den Prüfungen beschäftigt und in den Ferien unternahm er eine
 
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