Aus der Fülle der archaischen Fälschungen sei nur eine herausgegriffen, bei der
es unfaßlich ist, wie Grueneisen auf die Beschuldigung der Falschheit hin mit dem
Staatsanwalt drohen konnte. Die Athena aus der Sammlung Grueneisen (Abb. 8)
ist und bleibt die groteskeste Fälschung, die je mit einem ernsthaften Anspruch
aufgetreten ist.21a Hier weiß man tatsächlich nicht, wo man beginnen soll. Die
Unbekümmertheit, mit der der Fälscher bei dieser Athena zu Werke gegangen ist,
könnte man Unverschämtheit nennen, wenn man nicht immer wieder lachen
müßte über diese Jammergestalt, die eher einem Hirtenmädchen mit Hut und
Wanderstab als einer Göttin in ihrer Kriegsrüstung gleicht. Weder der rüschen-
besetzte Halsausschnitt des Chitons mit den Dreiviertelärmeln und dem diffusen
Faltenverlauf noch der Helm, der über der Stirn wie das Häubchen eines Servier-
mädchens anmutet, finden in der griechischen Plastik Parallelen, ganz zu schwei-
gen von dem lächerlichen Gorgoneion zwischen den Brüsten und der starken Ein-
ziehung der Taille, die die linke Hüfte weit ausladen läßt und den Unwissenden
zu der Annahme verleiten könnte, die Göttin habe sich in ein Korsett gezwängt.
Es scheint angesichts dieser Formen unnötig, die miserable Marmorarbeit hervor-
zuheben, wie sie am krassesten in den ebenso rohen wie sinnlosen Ritzmustern
des schrägen Mäntelchens hervortritt. Immerhin, mögen wir die arme Athena
Grueneisen auch noch so schmähen, so hat sie doch durch die Wertschätzung
ihres Besitzers eine Berühmtheit erlangt, die manchem Original nicht beschie-
den war.
Der schlafende Amor des Michelangelo
_/\n den Anfang einer Geschichte der Antikenfälschung gehört die Anekdote
von Michelangelos schlafendem Amor, wie sie uns in den Künstlermonographien
der Renaissance überliefert ist.22 Diese Geschichte, deren Wahrheit nicht einmal
restlos verbürgt ist, wirft aber ein helles Licht auf den geistigen Urgrund, aus
dem heraus Antikenfälschungen überhaupt erst möglich waren. Das Mittelalter
hat wohl immer wieder Impulse vom griechischen und römischen Altertum emp-
fangen, aber doch meist über die Umformung der Antike in der byzantinischen
Kunst.
Erst im Zeitalter der Renaissance wurde die Kunst der Griechen und Römer zum
hohen Vorbild, und die Künstler des 16. Jahrhunderts traten in edlen Wett-
38
es unfaßlich ist, wie Grueneisen auf die Beschuldigung der Falschheit hin mit dem
Staatsanwalt drohen konnte. Die Athena aus der Sammlung Grueneisen (Abb. 8)
ist und bleibt die groteskeste Fälschung, die je mit einem ernsthaften Anspruch
aufgetreten ist.21a Hier weiß man tatsächlich nicht, wo man beginnen soll. Die
Unbekümmertheit, mit der der Fälscher bei dieser Athena zu Werke gegangen ist,
könnte man Unverschämtheit nennen, wenn man nicht immer wieder lachen
müßte über diese Jammergestalt, die eher einem Hirtenmädchen mit Hut und
Wanderstab als einer Göttin in ihrer Kriegsrüstung gleicht. Weder der rüschen-
besetzte Halsausschnitt des Chitons mit den Dreiviertelärmeln und dem diffusen
Faltenverlauf noch der Helm, der über der Stirn wie das Häubchen eines Servier-
mädchens anmutet, finden in der griechischen Plastik Parallelen, ganz zu schwei-
gen von dem lächerlichen Gorgoneion zwischen den Brüsten und der starken Ein-
ziehung der Taille, die die linke Hüfte weit ausladen läßt und den Unwissenden
zu der Annahme verleiten könnte, die Göttin habe sich in ein Korsett gezwängt.
Es scheint angesichts dieser Formen unnötig, die miserable Marmorarbeit hervor-
zuheben, wie sie am krassesten in den ebenso rohen wie sinnlosen Ritzmustern
des schrägen Mäntelchens hervortritt. Immerhin, mögen wir die arme Athena
Grueneisen auch noch so schmähen, so hat sie doch durch die Wertschätzung
ihres Besitzers eine Berühmtheit erlangt, die manchem Original nicht beschie-
den war.
Der schlafende Amor des Michelangelo
_/\n den Anfang einer Geschichte der Antikenfälschung gehört die Anekdote
von Michelangelos schlafendem Amor, wie sie uns in den Künstlermonographien
der Renaissance überliefert ist.22 Diese Geschichte, deren Wahrheit nicht einmal
restlos verbürgt ist, wirft aber ein helles Licht auf den geistigen Urgrund, aus
dem heraus Antikenfälschungen überhaupt erst möglich waren. Das Mittelalter
hat wohl immer wieder Impulse vom griechischen und römischen Altertum emp-
fangen, aber doch meist über die Umformung der Antike in der byzantinischen
Kunst.
Erst im Zeitalter der Renaissance wurde die Kunst der Griechen und Römer zum
hohen Vorbild, und die Künstler des 16. Jahrhunderts traten in edlen Wett-
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