künstlich aufgetragen worden ist. Die künstlerische Ausführung ist sehr flau und
leer und kann auch durch die weit aufgerissenen Augen mit den riesenhaften
Pupillen nicht belebt werden. An verschiedenen unpassenden Details verrät sich
weiter die moderne Hand. Der Blätterkranz paßt wohl zu einem Götterkopf aus
Cypern, aber nicht zur griechischen Tracht des frühen 5. jahrhunderts. Auch
sind die langen Gehänge an den archaischen Ohrscheiben des Frauenkopfes, der
in Anlehnung an Korenköpfe von der Akropolis in Athen entstanden ist, durch-
aus ungehörig. Liefern also schon Stil und Technik des Gefäßes den Beweis der
Fälschung, so wird diesen auch die phänomenale Meisterinschrift nicht widerlegen
können. „Kleomenes Nikiu, der Athener, hat es gemacht“ steht in griechischen
Budrstaben an der Mündung des Gefäßes. Griechische Vaseninschriften sind
jedoch entweder aufgemalt oder nachträglich eingeritzt, nicht aber wie hier nach
dem Vorbild der Steininschriften vor dem Brande än den weichen Ton einge-
drückt. Da der blasse Ton in Attika nicht heimisdi ist, haben die Franzosen die
Werkstatt des Atheners Kleomenes einfach nach Korinth gesetzt, obwohl - ganz
abgesehen davon, daß der Ton auch nicht korinthisch ist - bei den bestehenden
Spannungen zwischen attischen und korinthischen Töpfern in dieser Zeit ein atti-
scher Töpfer wohl schwerlich in Korinth geduldet worden wäre.
Der Stier des Minos
^vfoch immer ist die sagenhafte Kultur, deren Zentrum die Insel Kreta im Mit-
telländischen Meer ist, in vorgeschichtliches Dunkel gehüllt. Zwar hat die jüngste
Vergangenheit die überraschende Entzifferung der einen Art kretischer Schriftzei-
chen gebracht, der sogenannten Linear B-Sdirift, aber die Texte, die gefunden
wurden, bringen enttäuschend wenig Nachrichten über die Religion und das
Staatsgefüge im Bereidi der kretischen Kultur, so daß wir trotz der in so reichem
Maße gefundenen bildlichen Darstellungen über all dies im unklaren bleiben. Die
Texte enthalten meist nur Listen von Handelsobjekten, Opfergaben und derglei-
chen. Freilich ist auch das Rätselhafte der ägäischen Kultur geeignet, eine große
Anziehungskraft auf die Gemüter der Menschen auszuüben. Die unvorstellbar
reichen Funde, die der große englische Ausgräber Sir Arthur Evans in Knossos
auf Kreta gemacht hat, drängen nach Deutung, die aber vielfach bloße Speku-
lation bleibt. Was wissen wir schon vom König Minos, der diesem ganzen Kultur-
Abb. 68
Statuette
einer kretischen
Priesterin
184
leer und kann auch durch die weit aufgerissenen Augen mit den riesenhaften
Pupillen nicht belebt werden. An verschiedenen unpassenden Details verrät sich
weiter die moderne Hand. Der Blätterkranz paßt wohl zu einem Götterkopf aus
Cypern, aber nicht zur griechischen Tracht des frühen 5. jahrhunderts. Auch
sind die langen Gehänge an den archaischen Ohrscheiben des Frauenkopfes, der
in Anlehnung an Korenköpfe von der Akropolis in Athen entstanden ist, durch-
aus ungehörig. Liefern also schon Stil und Technik des Gefäßes den Beweis der
Fälschung, so wird diesen auch die phänomenale Meisterinschrift nicht widerlegen
können. „Kleomenes Nikiu, der Athener, hat es gemacht“ steht in griechischen
Budrstaben an der Mündung des Gefäßes. Griechische Vaseninschriften sind
jedoch entweder aufgemalt oder nachträglich eingeritzt, nicht aber wie hier nach
dem Vorbild der Steininschriften vor dem Brande än den weichen Ton einge-
drückt. Da der blasse Ton in Attika nicht heimisdi ist, haben die Franzosen die
Werkstatt des Atheners Kleomenes einfach nach Korinth gesetzt, obwohl - ganz
abgesehen davon, daß der Ton auch nicht korinthisch ist - bei den bestehenden
Spannungen zwischen attischen und korinthischen Töpfern in dieser Zeit ein atti-
scher Töpfer wohl schwerlich in Korinth geduldet worden wäre.
Der Stier des Minos
^vfoch immer ist die sagenhafte Kultur, deren Zentrum die Insel Kreta im Mit-
telländischen Meer ist, in vorgeschichtliches Dunkel gehüllt. Zwar hat die jüngste
Vergangenheit die überraschende Entzifferung der einen Art kretischer Schriftzei-
chen gebracht, der sogenannten Linear B-Sdirift, aber die Texte, die gefunden
wurden, bringen enttäuschend wenig Nachrichten über die Religion und das
Staatsgefüge im Bereidi der kretischen Kultur, so daß wir trotz der in so reichem
Maße gefundenen bildlichen Darstellungen über all dies im unklaren bleiben. Die
Texte enthalten meist nur Listen von Handelsobjekten, Opfergaben und derglei-
chen. Freilich ist auch das Rätselhafte der ägäischen Kultur geeignet, eine große
Anziehungskraft auf die Gemüter der Menschen auszuüben. Die unvorstellbar
reichen Funde, die der große englische Ausgräber Sir Arthur Evans in Knossos
auf Kreta gemacht hat, drängen nach Deutung, die aber vielfach bloße Speku-
lation bleibt. Was wissen wir schon vom König Minos, der diesem ganzen Kultur-
Abb. 68
Statuette
einer kretischen
Priesterin
184