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Durchaus mehr vom Gemüt und der Phantasie Leherrscht als vom analy-
sierenden Verstand^ war der Layerische Stamm von jeher weit mehr sür Kunst als
für Wissenschaft begabt und ist es mit merkwiirdiger Zähigkeit bis heute geblieben.
Dadurch unterscheidet er sich gründlich von den benachbarten Franken und Ale-
mannen^ welche sonst die künstlerische Begabnng mit ihm teilench doch der Reflexion,
der Arbeit des Verstandes und damit der Wissenschaft weit mehr zugeneigt sind.
Bilden daher Münchener und Wiener den geraden Gegensatz zum Berliner und
Rheinlünder, sv unterscheiden sie sich nntereinander doch dadurch, daß sich der Alt-
bayer bis auf den hentigen Tag rein erhalten hat, wahrend das Vvlkergemisch an
der blanen Dvnau bei dem Wiener einen sanguinischen, leichtlebigen Zug heraus-
bildete, der dem schwerfalligeren aber auch nachhaltigeren und sesteren Charakter
des Altbayers durchaus widerspricht.

Jst es demnach einerseits der Reichtnm der Natur an Farben und Formen,
wie ihn das Gebirge darbietet und anderseits der so sest ausgepragte Charakter der
Bevvlkerung, wie die Rauheit des Klimas, die nichts Schwächliches aufkommen
läßt, so finden wir diese drei Faktoren denn auch bestimmend im ganzen Verlaufe
der Münchener Kunstentwickelung, fort und fort geben sie dem dortigen Schafsen
sein ganz besondcres, ebenso anziehendes als frisches und männliches, gesundes und
echt nationales Geprüge. Wie Unsinniges und Willkürliches man ihr auch oft zu-
mutete, die Münchener Kunst hat es immer wieder bnld in ihr Eigentum verwandelt,
ihm ihren unverlierbaren Charakter ausgedrückt. Finden wir ihn schon in der Art
ausgesprochen, wie sie die romanischen und gotischen Formen ihrem durch die Natur
vorgeschriebenen Backsteinban anpaßte, so bricht er dann mit vollem Jubel und
grenzenlosem Reichtnm iir ihrer glünzendsten Zeit, der ihr so durchaus sympathischen
deutschen Renaissanee heraus. Zlber auch selbst der antikisierenden Richtung eines
Klenze, dem romantischen Klassizismus eines Cornelius drückte sie sehr bald ihren
Stempel aus, nne sie jetzt bei Wiederaufnahme der deutschen Renaissance, die recht
eigentlich ihr Werk, ja der richtigste Ausdruck ihres eigensten Wesens ist, eine ganz
ungeahnte Schöpferkraft entfaltete.

Wer es bei genauer Betrachtung des Entwickelungsganges dieser Münchener
Kunst auch heute noch nicht begreift, daß die Formenbildnng etwas mit dem Volks-
und Stammescharakter aufs genaueste Zusammenhängendes ist, und daß daher jede
begabte Nation ihre eigene Kunst erzeugen muß, wie sie ihre eigene Sprache, ihre
eigenen Götter erzeugt hat, daß sie alle ihr oon außen zukommenden Kunstelemente
immer wieder ihrem eigensten Wesen entsprechend umbilden wird und soll, für den
ist freilich jede Belehrung verloren.

Dies innerste Gesetz aller Kunstentwickelung bisher nur zu oft gründlich
verkannt zu haben ist der Fehler der bisherigen Kunst-Geschichtschreibung und Ästhetik
nicht weniger als der gewisser ihnen entsprungener Richtungen iu der Kunst selber.
Die Künstler wurden dazu verlockt, weil neben der Verzierungslust der Nachahmungs-
trieb eine der stärksten Grundlagen aller Kunst ist, und weil auch die Werke der
bildenden Künste wie die der Musik eine ziemlich weitgehende Allgemeinverstündlich-
keit besitzen, die uns an der Farbensymphonie eines japanesischen Tongefäßes eben-
soviel Vergniigen sinden lüßt, als an der eines persischen Teppichs oder an dem
Formenzauber eines griechischen Tempels. Damit ist aber noch keineswegs gesagt,
daß wir diese Werke anch nnr halb so gut verständen als die Nation und Zeit,
 
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