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erhielt, der ihr gleich bei ihrer Entstehung dnrch die Übersiedelung pfülzischer, dann
der Düsseldorfer Professoren, endlich durch die des Cornelius uud seiner Schnle
nufgedrückt wordenr war. — Er ist es auch, der sie oon allen anderen Kunstschulen so
wesentlich nnterscheidet, die alle mehr prooinziellen Charakter tragen. Er hat sich
aber im Laufe der acht Jahrzehnte, die wir hier zn schildern haben, nicht nur nicht
geschwächt, sondern fortwahrend verstürkt, je lUlabhängiger oon persönlichen Ein-
flüssen die Schule ward, je inniger ihr Zusammenhang mit dem gesamten nativnalen
Leben sich gestaltete. Dieses müchtige, ja vollig unwiderstehliche Wachstnm der
Miinchener Kunst, ihre allmühliche Unuvandlung aus einer durchaus von der Fürsten-
gunst hervorgernfenen und also auch von ihr abhüngigen Thütigkeit zu einer ganz
naturwüchsigen, in hohem Grade volkstümlichen nnd spezifisch nativllalen, welche
eben dieser festen Grundlage halber eine so ganz ungeahnte Bedeutung gewonnen
hat, daß ihr nur Paris und Rom ebenbürtig gegenüberstehen, ist sicherlich eine
der bedeutendsten Thatsachen in nnserer deutschen Kulturgeschichte. Der Verfasser
dieses Bnches glaubt einiges Recht zu dem Versuche der Schilderung dieser Ent-
wickelung schon darum mitzubringen, weil er den weitaus größten und bedeutsamsten
Teil dieses Zeitraumes als Angenzeuge und thütig Alitwirkender, im bestündigen
Umgange mit den Haupttrügern dieser Kunst erst als ihr Mitstrebender, dann dreißig
Jahre lang als pnblizistischer Vertreter der volkstümlichen und nationalen Richtung
der Schule mitgemacht hat, die jetzt, zngleich mit der Wiedererstehung des deutschen
Reiches und begünstigt von dem ungeheueren Ansschwung der Nation erst vollständig
znr Herrschaft gekommen ist.

Wenn der Verlauf dieser Erzühlung wohl für jeden darthun wird, daß die
heutige Münchener Kunst ihre Selbständigkeit und ihr gesundes naturwüchsiges Wesen
wie ihre kolossale Ausdehnung auf allen Gebieten lediglich dem allmählich wachsen-
den Maße ihres Anpassungsvermögens nn den Geist, die Empfindungsweise und die
tiefste Cügentümlichkeit einerseits des deutschen Volkes im allgemeinen, dann des
bayerischen Stammes insbesondere verdankt, so würen damit auch die Folgerungen
fiir die Zuknnft gegeben. Die Münchener Schule wird fortblühen, so lange sie sich
ihre spezifisch dentsche Eigenart rein erhült, sie wird vergehen und anderen Platz
machen, wenn sie ihr untreu wird. Man dürfte im Verlaufe dieser Darstellung
auch nicht minder sehen, daß keine einzelne Richtnng diesen nationalen Geist ge-
pachtet hatte, ja gerade die romantisch-klassizistische der Cornelianischen Schule am
allerwenigsten, wie sie ja überhaupt nnr eine einzelne, wcnn anch glänzende Episode
in diesem langen Entwickelungsgange war, neben der fortwährend realistische uird
naturalistische Richtungen herliefen, die sich ihr in Bezug auf Gesundheit nnd Volks-
tiimlichkeit sogar bald überlegen erwiesen. — Denn die Freude am Schönen, an der
Verziernng und damit der Trieb zur Kunst sind den Menschen eingeboren, er hat mit
der Religion nicht mehr zu thnn, als mit dem Heroenkultns nnd der Versinnlichung
unserer Jdeale überhaupt. Die Qnelle der Knnstformen ist nnd bleibt aber immer
die Natur, selbst die Bauknnst ist nnr eine stilisierte Natnr, borgt alle ihre Formen von
derselben. — Eben deshalb, weil sie nicht weniger als der unserer Jdeale ml Spiegel
des Lebens sein soll, das sich ja in jedem Lande, unter jedem Volke wieder ganz
verschieden gestaltet, kann auch jede gesnnde Kunst nur einen spezifisch nationalen
Charakter haben und verliert mit demselben sofort die Lebenskraft, wie die Geschichte
aller Zeiten zeigt.

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