PEEK: COTTAS MORGENBLATT FÜR GEBILDETE STÄNDE
seinen »Teutschen Merkur« ausdrücklich für die »gute
Gesellschaft« bestimmte, wobei die »Armen im Geiste«,
»Unmündige und Säuglinge«, die »Menge der Heerscharen,
Crethi und Plethi, Ohim und Zihim« (an Jacobi) mitge-
meint waren.
Oberster Grundsatz war für das Morgenblatt die Mannig-
faltigkeit seines Inhalts. Auch dies war keineswegs neu.
Wiederum war es Wieland, der erstmals in Deutschland* * 13
den Versuch unternahm, vermittels eines universalen Pro-
gramms ein in verschiedene Interessengruppen auf gespaltenes
und von ebenso vielen Fachorganen versorgtes Publikum
unter einer Flagge zu vereinigen. Das Programm des »Teut-
schen Merkur« umfaßte: gemischte Aufsätze aus dem Gebiet
der Geschichte, der Literatur und Politik sowie der Natur-
wissenschaft, daneben Reisebeschreibungen, Biographien,
Romane und Gelegenheitsgedichte, später, als Zugeständnis
an den Zeitgeschmack, die damals Mode werdenden Reim-
rätsel und Logogryphen. Die Absicht, von jedem Ingrediens
die rechte Dosis zu treffen, bestimmte den Aufbau des
Blattes. Sein Inhalt sollte zugleich belehren und unterhalten
und vor allem »niemals schwerfällig! niemals langweilig!«
sein.
Demgegenüber kann man im Morgenblatt - abgesehen
von Akzentverschiebungen in einzelnen Fächern - nur
drei Abweichungen feststellen. Gestrichen wurde einmal
die Philosophie, deren erkältende Wirkung auf das Lese-
publikum Cotta von den »Horen« her kannte, zum anderen
der politische Artikel, für den er mit der »Augsburger.
Allgemeinen Zeitung« 1797 ein eigenes Organ geschaffen
hatte. Neu aufgenommen wurde dagegen der stehende Kor-
respondenzartikel. In diesem allein bestand der Fortschritt13:
Indem er das Unterhaltung und Bildung suchende Publi-
kum auch mit Neuigkeiten versorgte, brachte er in die
belletristische Zeitschrift eine zeitungsähnliche Note.
Sonst blieb alles beim alten: der weitgesteckte The-
menkreis des »Teutschen Merkur« wurde zugleich mit
dem Modus der gefälligen Darbietung übernommen.
Selbst Wielands volksbildnerischer Ehrgeiz, durch Lehre
und Vorbild humanisierend zu wirken, hat im Morgenblatt
fortgelebt, auch wenn er sich nicht so offen zeigte.
Aus dieser inneren Gleichrichtung erklärt sich auch
die Mitarbeiteremigration, die seit der Gründung des Mor-
genblattes von dem »Teutschen Merkur« her einsetzte. Karl
August Böttiger, der seit 1799 Wieland in der Redaktion
des »Merkur« vertrat, ist eine der besonderen Stützen des
12 In Frankreich gab es vorher Ähnliches schon im »Mercure de
France«. Ihn hat Wieland sich zum Muster genommen.
Der Korrespondenzartikel war nicht Cottas Erfindung. Erste An-
sätze finden sich schon im »Deutschen Museum«, wo eine Art von
Korrespondenz in Briefform in unregelmäßigen Abständen mitgeteilt
wurde. Seit der Gründung der »Zeitung für die elegante Welt« 1801
gehörte er zum Haushalt der »belletristischen Zeitschrift«.
Morgenblattes geworden. Er hat sich nicht nur als regel-
mäßiger Mitarbeiter, sondern auch als eine Art kritischer
Zwischeninstanz, die Beiträge anderer sammelte und an
die Redaktion weitergab, bewährt. Neben ihm sind gerade
diejenigen Mitarbeiter des »Merkur«, die sich Wielands
persönlichen Schutzes erfreuten, wie Friedrich Matthisson,
Friederike Brun, Jens Immanuel Baggesen, Karl Philipp
Conz, Ludwig Neuffer und Friedrich Haug, nach und
nach ins Morgenblatt übergewandert. Zwei seiner Mit-
arbeiter, Friedrich Haug und Therese Huber, sind hier
sogar Redakteure geworden14.
Somit ist eine engere Beziehung zwischen dem »Merkurs-
Typus des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der zahlreiche
Nachfolge fand, und dem Typus der »belletristischen Zeit-
schrift« des beginnenden 19. Jahrhunderts, für den das Mor-
genblatt steht, wohl erwiesen. Sie reihen sich ein in die große
Tradition der populären Bildungszeitschrift, die mit den mo-
ralischen Wochenschriften begann und mit der deutschen
Familienzeitschrift endete. Ihre Bestimmung war kulturpo-
litischer Art. Sie wollten, indem sie auf das Publikum ein-
gingen und seine Lesewünsche erfüllten, geschmackserziehe-
risch auf es einwirken15.
2. Das Morgenblatt als Verlagsprojekt
Es ist anzunehmen, daß Cotta bei seiner risikofreien Zeit-
schriftengründung die trüben Verlagserfahrungen, die er
mit den »Horen« gemacht hatte, im Auge behielt. War er
doch selbst, als sich diese als »Krebse« erwiesen, für ihre
Angleichung an den »Merkur« eingetreten16. Und finden
sich doch in seinen Briefen an Schiller Vorschläge, die
man sehr wohl als Keimzelle für das Morgenblatt ansehen
kann17.
Da die »Horen« nicht nur nach Cottas Meinung daran
gescheitert waren, daß sie zu anspruchsvoll auftraten, be-
mühte er sich diesmal um eine gemäßigte Haltung. Publikum,
Mitarbeiter und vor allem auch der Verlag mußten ent-
Aus diesem klassizistischen Mitarbeiterstab erklärt sich die Ver-
wicklung des Morgenblattes in den Romantikerstreit während des
ersten Jahrzehnts. Frieda Hölle hat in ihrer Dissertation ausführlich
darüber berichtet.
15 Vgl. dazu Friedrich Sengle: Wieland, Stuttgart 1949.
16 Vgl. dazu Günter Schulz: Schillers Horen, Politik und Erziehung,
Analyse einer deutschen Zeitschrift, Heidelberg 1959 (Deutsche Presse-
forschung Bd 2). Schulz schreibt hier allerdings Schiller die Initiative
zu. Offenbar hat er Cottas Brief vom 24. Juni 1794 übersehen.
17 Vgl. den Brief Cottas an Schiller vom 9. November 1795, Brief-
wechsel zwischen Schiller und Cotta, Stuttgart 1876, S. I3of., wo es
heißt: » ... es ist doch der Natur der Sache gemäß, daß wir für einen
großen Absatz auch für das größtmögliche Publikum sorgen müssen.
Nehmen wir hiezu, daß es eben einmal schon die Erwartung des Publi-
kums ist, in einer Monatsschrift sich von den ernsten Stunden des Ge-
schäfts darinnen erholen zu können, so scheint mir dies ein Wink mehr
zu sein, bei den Aufsätzen meistens darauf zu sehen, daß die Belehrung
in das leichtmöglichste Gewand gehüllt werde ... «
951
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe •— Nr. 42, 28. Mai 1965
seinen »Teutschen Merkur« ausdrücklich für die »gute
Gesellschaft« bestimmte, wobei die »Armen im Geiste«,
»Unmündige und Säuglinge«, die »Menge der Heerscharen,
Crethi und Plethi, Ohim und Zihim« (an Jacobi) mitge-
meint waren.
Oberster Grundsatz war für das Morgenblatt die Mannig-
faltigkeit seines Inhalts. Auch dies war keineswegs neu.
Wiederum war es Wieland, der erstmals in Deutschland* * 13
den Versuch unternahm, vermittels eines universalen Pro-
gramms ein in verschiedene Interessengruppen auf gespaltenes
und von ebenso vielen Fachorganen versorgtes Publikum
unter einer Flagge zu vereinigen. Das Programm des »Teut-
schen Merkur« umfaßte: gemischte Aufsätze aus dem Gebiet
der Geschichte, der Literatur und Politik sowie der Natur-
wissenschaft, daneben Reisebeschreibungen, Biographien,
Romane und Gelegenheitsgedichte, später, als Zugeständnis
an den Zeitgeschmack, die damals Mode werdenden Reim-
rätsel und Logogryphen. Die Absicht, von jedem Ingrediens
die rechte Dosis zu treffen, bestimmte den Aufbau des
Blattes. Sein Inhalt sollte zugleich belehren und unterhalten
und vor allem »niemals schwerfällig! niemals langweilig!«
sein.
Demgegenüber kann man im Morgenblatt - abgesehen
von Akzentverschiebungen in einzelnen Fächern - nur
drei Abweichungen feststellen. Gestrichen wurde einmal
die Philosophie, deren erkältende Wirkung auf das Lese-
publikum Cotta von den »Horen« her kannte, zum anderen
der politische Artikel, für den er mit der »Augsburger.
Allgemeinen Zeitung« 1797 ein eigenes Organ geschaffen
hatte. Neu aufgenommen wurde dagegen der stehende Kor-
respondenzartikel. In diesem allein bestand der Fortschritt13:
Indem er das Unterhaltung und Bildung suchende Publi-
kum auch mit Neuigkeiten versorgte, brachte er in die
belletristische Zeitschrift eine zeitungsähnliche Note.
Sonst blieb alles beim alten: der weitgesteckte The-
menkreis des »Teutschen Merkur« wurde zugleich mit
dem Modus der gefälligen Darbietung übernommen.
Selbst Wielands volksbildnerischer Ehrgeiz, durch Lehre
und Vorbild humanisierend zu wirken, hat im Morgenblatt
fortgelebt, auch wenn er sich nicht so offen zeigte.
Aus dieser inneren Gleichrichtung erklärt sich auch
die Mitarbeiteremigration, die seit der Gründung des Mor-
genblattes von dem »Teutschen Merkur« her einsetzte. Karl
August Böttiger, der seit 1799 Wieland in der Redaktion
des »Merkur« vertrat, ist eine der besonderen Stützen des
12 In Frankreich gab es vorher Ähnliches schon im »Mercure de
France«. Ihn hat Wieland sich zum Muster genommen.
Der Korrespondenzartikel war nicht Cottas Erfindung. Erste An-
sätze finden sich schon im »Deutschen Museum«, wo eine Art von
Korrespondenz in Briefform in unregelmäßigen Abständen mitgeteilt
wurde. Seit der Gründung der »Zeitung für die elegante Welt« 1801
gehörte er zum Haushalt der »belletristischen Zeitschrift«.
Morgenblattes geworden. Er hat sich nicht nur als regel-
mäßiger Mitarbeiter, sondern auch als eine Art kritischer
Zwischeninstanz, die Beiträge anderer sammelte und an
die Redaktion weitergab, bewährt. Neben ihm sind gerade
diejenigen Mitarbeiter des »Merkur«, die sich Wielands
persönlichen Schutzes erfreuten, wie Friedrich Matthisson,
Friederike Brun, Jens Immanuel Baggesen, Karl Philipp
Conz, Ludwig Neuffer und Friedrich Haug, nach und
nach ins Morgenblatt übergewandert. Zwei seiner Mit-
arbeiter, Friedrich Haug und Therese Huber, sind hier
sogar Redakteure geworden14.
Somit ist eine engere Beziehung zwischen dem »Merkurs-
Typus des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der zahlreiche
Nachfolge fand, und dem Typus der »belletristischen Zeit-
schrift« des beginnenden 19. Jahrhunderts, für den das Mor-
genblatt steht, wohl erwiesen. Sie reihen sich ein in die große
Tradition der populären Bildungszeitschrift, die mit den mo-
ralischen Wochenschriften begann und mit der deutschen
Familienzeitschrift endete. Ihre Bestimmung war kulturpo-
litischer Art. Sie wollten, indem sie auf das Publikum ein-
gingen und seine Lesewünsche erfüllten, geschmackserziehe-
risch auf es einwirken15.
2. Das Morgenblatt als Verlagsprojekt
Es ist anzunehmen, daß Cotta bei seiner risikofreien Zeit-
schriftengründung die trüben Verlagserfahrungen, die er
mit den »Horen« gemacht hatte, im Auge behielt. War er
doch selbst, als sich diese als »Krebse« erwiesen, für ihre
Angleichung an den »Merkur« eingetreten16. Und finden
sich doch in seinen Briefen an Schiller Vorschläge, die
man sehr wohl als Keimzelle für das Morgenblatt ansehen
kann17.
Da die »Horen« nicht nur nach Cottas Meinung daran
gescheitert waren, daß sie zu anspruchsvoll auftraten, be-
mühte er sich diesmal um eine gemäßigte Haltung. Publikum,
Mitarbeiter und vor allem auch der Verlag mußten ent-
Aus diesem klassizistischen Mitarbeiterstab erklärt sich die Ver-
wicklung des Morgenblattes in den Romantikerstreit während des
ersten Jahrzehnts. Frieda Hölle hat in ihrer Dissertation ausführlich
darüber berichtet.
15 Vgl. dazu Friedrich Sengle: Wieland, Stuttgart 1949.
16 Vgl. dazu Günter Schulz: Schillers Horen, Politik und Erziehung,
Analyse einer deutschen Zeitschrift, Heidelberg 1959 (Deutsche Presse-
forschung Bd 2). Schulz schreibt hier allerdings Schiller die Initiative
zu. Offenbar hat er Cottas Brief vom 24. Juni 1794 übersehen.
17 Vgl. den Brief Cottas an Schiller vom 9. November 1795, Brief-
wechsel zwischen Schiller und Cotta, Stuttgart 1876, S. I3of., wo es
heißt: » ... es ist doch der Natur der Sache gemäß, daß wir für einen
großen Absatz auch für das größtmögliche Publikum sorgen müssen.
Nehmen wir hiezu, daß es eben einmal schon die Erwartung des Publi-
kums ist, in einer Monatsschrift sich von den ernsten Stunden des Ge-
schäfts darinnen erholen zu können, so scheint mir dies ein Wink mehr
zu sein, bei den Aufsätzen meistens darauf zu sehen, daß die Belehrung
in das leichtmöglichste Gewand gehüllt werde ... «
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Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe •— Nr. 42, 28. Mai 1965