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Peek, Sabine
Cottas Morgenblatt für gebildete Stände: seine Entwicklung und Bedeutung unter der Redaktion der Brüder Hauff (1827-1865) — Frankfurt (am Main): Buchhändler-Vereinigung, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.53628#0010
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PEEK: COTTAS MORGENBLATT FÜR GEBILDETE STÄNDE

Eine zweite Statistik sollte die Stoff-Verteilung im.
Morgenblatte ermitteln. Da es zu mühsam gewesen wäre,
die Spalten zu zählen, ernannte ich stattdessen die Zcit-
schriftennummern pro Jahr, die Beiträge aus den drei
Sparten: Erzählung, Gedicht und gemischte Aufsätze ent-
hielten, zur Einheit. Das graphische Bild, das diesmal
entstand (Anhang i, Tabelle II), stimmte mit dem vorigen
darin überein, daß es sich für Veränderungen in der Re-
daktion, politische Umwälzungen, Wirtschaftskrisen und
neue Zeitschriftengründungen empfindlich zeigte. Dies
legte nahe, die Redaktionsgeschichte in den Rahmen
des Zeitgeschehens zu stellen. Schwierig war es, den belle-
tristischen Inhalt von vierzig Zeitschriftenbänden mit
rund 50 000 Seiten Quart auf einen gemeinsamen Nenner
zu bringen. Ich entdeckte ihn schließlich, nach langem
Suchen, im Selbstverständnis des Morgenblattes als »li-
terarisches Modejournal«7. So ungewohnt der Begriff der
»literarischen Moden« unseren Ohren auch klingen mag:
dem 19. Jahrhundert war er geläufig. Und wer in den Ver-
suchen jener Epoche, die zeitgenössische Literatur ge-
schichtlich darzustellen, blättert, wird finden, daß in
ihnen die literarischen Moden oftmals als roter Faden er-
scheinen.
Schon deshalb fühlte ich mich berechtigt, die literarischen
Moden als wesentliches Zeitphänomen zu betrachten und
ihre Entwicklung am Beispiel der Reisebeschreibung, der
Erzählung und des Gedichtes im Morgenblatt zu verfolgen.

Hierbei war freilich größte Bescheidung nötig: Es wäre
gerade für diese Fragestellung wichtig gewesen, die gesamte
»gleichzeitige« Literatur, vornehmlich die Unterhaltungs-
literatur im Auge zu haben. Dies war im Rahmen einer
Zeitschriftenmonographie kaum zu erreichen, zumal ich
weder von zeitungswissenschaftlichen Arbeiten, die den
Zeitschriftcninhalt gewöhnlich nur referierend erfassen,
noch von literarhistorischen Arbeiten, die im Gegensatz zu
meiner streng chronologischen Darstellungsweise epochale
Deutungen geben, entscheidende Hilfe zu erwarten hatte.
Nur stellenweise gelang es mir durch Zufallsfunde in Lite-
raturgeschichten oder in gattungsgeschichtlichen Unter-
suchungen, den Zusammenhang der Morgenblatt-Moden
mit den Moden in der Unterhaltungsliteratur außerhalb
des Morgenblattes nachzuweisen.
Wenn ich darauf verzichtet habe, die einzelnenliterarischen
Moden, die ich im Morgenblatt fand, als biedermcierlich
oder nichtbiedermeierlich zu identifizieren, so geschah es
hauptsächlich deshalb, weil es bis auf den heutigen Tag keine
allgemeinverbindliche Definition des Biedermeierbegrif-
fes gibt.
Die Hoffnung, künftigen Bemühungen um das von
der Literaturwissenschaft lange Zeit stiefmütterlich behan-
delte 19. Jahrhundert Vorschub zu leisten, hat neben dem
Vorsatz, eine lebenstreue Monographie der sowohl typisch-
sten als bedeutendsten »belletristischen Zeitschrift« jener
Epoche zu zeichnen, den Gang meiner Arbeit bestimmt.

(Einleitung

1. Das Morgenblatt als Zeitschriftentypus
Während nur wenige Zeitschriftengründer das Wagnis auf
sich nehmen, etwas völlig Neues zu schaffen, zieht die
Mehrzahl es vor, bereits erprobte, als lebensfähig erkannte
und vom Zeitgeschmack sanktionierte Zeitschriftenformen
zu kopieren. So verhält es sich auch mit der Gründung des
Morgenblattes. Im Jahre 1807 dürfte sie für den Verleger
Cotta kein Risiko mehr bedeutet haben. Waren ihm doch
1801 Karl Spazier mit der »Zeitung für die elegante Welt«
und 1803 August v. Kotzebue mit dem »Freimiithigen«
vorangegangen in der Kreierung eines neuen Zeitschriften-
typus, den das 19. Jahrhundert »belletristisches Journal«
nannte und welchen heute die Publizistik als »literarisch-kul-
turelle Zeitschrift« klassifiziert. Nach Wilmont Haacke8
7 Mbl. 1857, Nr. 1, Hermann Hauff: Beim Schluß des fünfzigsten
Jahrgangs dieser Blätter.
8 Die Zeitschrift - Schrift der Zeit, Essen 1961. In sein anregendes
Buch hat Haacke eine Stammtafel der deutschen Zeitschrift und eine
Zeittafel zur Geschichte der Zeitschrift von Günter Kieslich aufgenom-
men. Auf diese beziehe ich mich.

scheint das unterscheidende Neue bei diesem Zeitschriften-
typ in einer andersartigen stofflichen Zusammensetzung9
und in einem Zuschnitt auf breitere Leserschichten zu liegen.
Sieht man aber genauer hin, so zeigt sich, daß die »literarisch-
kulturelle Zeitschrift« in der Tat wenig Neues brachte.
Cotta beabsichtigte, wie aus seiner Instruktion für das
Morgenblatt10 hervorgeht, mit seiner Zeitschrift »allen
etwas« zu bieten, wobei er natürlich voraussetzte, daß
diese »alle« über ein beträchtliches Maß an Bildung ver-
fügten. Das aber hatte schon Wieland11 gewollt, als er
9 Die Herleitung des Typus aus der literarisch-kritischen, literarisch-
produktiven und der kulturellen Zeitschrift (»Teutscher Merkur«), die
Kieslich vornimmt, erscheint mir denn doch zu verzwickt. Zumindest
dürfte die literarisch-produktive Zeitschrift als Ursprung wegfallen,
weil die von Kieslich als »kulturell« bezeichnete Zeitschrift (z. B. »Teut-
scher Merkur«) unter anderem auch literarisch produktiv war. >
10 Abgedruckt bei Liselotte Lohrer, Cotta, a.a.O., S. 67.
11 Die folgenden Einzelheiten über Wielands Journal entstammen der
sehr ergiebigen Arbeit von Hans Wahl: Geschichte des Teutschen Mer-
kur. Ein Beitrag zur Geschichte des Journalismus im achtzehnten Jahr-
hundert, Berlin 1914.

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Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965
 
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