PEEK: COTTAS MORGENBLATT FÜR GEBILDETE STÄNDE
aufmerksam zu machen139. Trotzdem war Sternberg eine
der merkwürdigsten Gestalten der Zeit zwischen den Re-
volutionen. Ein geborener Höfling, »kalt, fein, artig, zier-
lich«140, mit einer sonderbar barocken, skurrilen, sinnlichen
Phantasie und einem klaren, sicheren Stil begabt, war er
lange Jahre der Modeschriftsteller kat exochen und der
Hofschriftsteller des preußischen Junkertums. Die Blasiert-
heit seines Lesepublikums zwang sein ursprünglich schönes
Talent, dem selbst Fontane Bewunderung zollte, am Ende
in eine ihm wenig zuträgliche Richtung.
Auch hier war es Gustav Schwab, der den aus Liebhaberei
schriftstellernden Grafen, der Stuttgart besuchte, wider
seinen Willen sogar, in die Literatur einführte. Er brachte
das Manuskript der »Zerrissenen« an Cotta und sein erstes
Märchen in das Morgenblatt. »Die Zerrissenen« wurden ein
großer Erfolg, schon deshalb, weil sie den von Byron an-
geschlagenen Zeitton trafen. Von der Kritik wurde der
Roman Goethes »Wilhelm Meister«, Schillers »Geisterseher«
und Ticcks »Sternbald« an die Seite gestellt. Sternberg avan-
cierte zum Hauptmitarbeiter am Mörgenblatt. Als ein-
ziger unter den vielen trat er zu ihm in eine Art Angestell-
tenverhältnis. Gemäß einem Vertrage vom 15. und 18. Mai
1837 bezog er von der Cotta’sehen Buchhandlung einen
monatlichen Wechsel von 50 Gulden, den er mit Beiträgen
abverdienen mußte. Es versteht sich daher von selbst, daß
Sternberg während der Dauer dieses Vertrages von allen
Mitarbeitern die meisten Beiträge geliefert hat. Trotzdem
gab es in dieser Zeit immer wieder Differenzen mit der
Buchhandlung, weil Sternberg sein Soll nicht erfüllte.
Teils war Sternberg von sich aus im Rückstand, teils gelang-
te er unfreiwillig hinein, weil Hauff seine Beiträge aus
moralischen Rücksichten nicht abdrucken wollte. Stern-
bergs Rückstand wuchs mit den Jahren, da seine Beiträge
immer frivoler wurden und ein immer größerer Teil davon
abgelehnt werden mußte. So wurde der Vertrag 1847 ge-
löst141. 1850 riß die Beziehung Sternbergs vollständig ab.
1848 hatte er die Novelle »Royalisten« verfaßt, »zitternd vor
Erbitterung, bis in die Fingerspitzen angefiillt mit Wut gegen
dieses >Volk<, das es wagte, seine verruchte, seine teuflische
Widersetzlichkeit so weit zu treiben, gegen den Glanz der
Ritterlichkeit des Adels, ja gegen den Glanz der Majestät
139 Außerdem wurde eine Analyse seines Werkes versucht: Edgar
Weil: Alexander von Sternberg (Peter Alexander von Ungern-Stern-
berg). Ein Beitrag zur Literatur- und Kulturgeschichte des 19. Jahr-
hunderts, Berlin 1932 (Germanische Studien, Heft 130).
140 Nicolaus Lenau, 1837. Nicolaus Lenaus Lyrik, hrsg. von Heinrich
Bischoff, 2. Bd, Berlin 1920-21.
141 Als Verleger hatte sich Cotta bereits 1838 von ihm distanziert.
Trotzdem bot ihm die Buchhandlung als Entschädigung für die Lösung
des Vertrages ein Bogenhonorar von 50 f. an, ein Salaire, das außer ihm
kein anderer Mitarbeiter des Morgenblattes erhielt. Dies beweist, wie
hoch man ihn trotz seiner offensichtlichen Mängel als Mitarbeiter ein-
schätzte.
seine schmutzigen Fäuste in olmmächtiger Wut zu ballen«142.
Diese Novelle, aus welcher im Morgenblatt ein Bruchstück
im Vorabdruck erschien143, und welche Joachim Kühn als
»ein Meisterstück farbensicherer Tendenzschriftstellerei«
bezeiclmet, machte zusammen mit zwei weiteren Novellen
ultrakonservativen Gepräges Sternberg zum erklärten Dich-
ter der Kreuzzeitungspartei. Ihr flössen jetzt die Beiträge zu,
welche vorher das Morgenblatt erhalten hatte. Aber Stern-
bergs Glück schlug bald um. Seine ultraroyalistische Haltung,
die ihn während des ersten nachrevolutionären Rückschlags
groß gemacht hatte, stürzte ihn wieder, sobald normale
Verhältnisse eingetreten waren. Die Kritik, die er in seinen
No veilen an der nachgiebigen Haltung FriedrichWilhelms IV.
geübt hatte, ließ ihn bei dem Monarchen in Ungnade fallen.
Die Gesellschaft zog sich von ihm zurück. Arm und ver-
lassen verfaßte er 1855 seine »Erinnerungen«, zu denen die
ersten Aufzeichnungen bereits 1842 im Morgenblatt er-
schienen waren144 145 146. Die hierin gezeigte politische Reue hat
nicht zu seiner Rehabilitierung beigetragen, sondern viel-
mehr bewirkt, daß er vor der Öffentlichkeit ganz sein Ge-
sicht verlor und als gescheiterter Opportunist dastehen
mußte. In dieser Lage versuchte er 1858 die Verbindung
zum Morgenblatt wieder aufzunehmen. Die Cotta’sche
Buchhandlung, an die er sich wandte, antwortete freundlich,
wollte aber von einer Erneuerung des Vertrages mit Stern-
berg nichts wissen. Ein Manuskript, das er einsandte, schickte
ihm Cotta zurück mit dem abschlägigen Bescheid: Hauff
habe erklärt, »daß er bei den scrupulos ängstlichen Rück-
sichten die er bei diesem Blatte wegen der meist weiblichen
Leser desselben zu nehmen habe, ... sich nicht getraue
dasselbe in’s Morgenblatt aufzunehmen«143. Daß dies kein
Vorwand war, beweist, daß im Jahr darauf, 1859, doch noch
ein Beitrag von ihm erschien14®. Das Morgenblatt hatte
sich also nicht von der gesellschaftlichen Ächtung, in der
Sternberg in Preußen stand, beeinflussen lassen.
Es ist interessant zu erwägen, daß es ausgerechnet zwei
ultrakonservative, rcstaurationsfreundliche Schriftsteller wa-
ren, die im Morgenblatte die Hauptrolle spielten. Daß es
nicht ihre politische Gesinnung war, die ihnen zu dieser
Sonderstellung verhalf, ist kaum zu bezweifeln. Das Bei-
spiel Chezys zeigt, daß man sie nurmehr in Kauf nahm.
Aber indirekt war sie dennoch im Spiel: Die Restauration
begünstigte die Literatur, die sich mit Politik nichts zu
schaffen machte. Sternberg erwähnt und bedauert das in
seinen »Erinnerungsblättern«:
142 A. v. Sternberg, a.a.O., S. 275 f.
*43 Mbl. 1848, Nr. 252, Der achtzehnte März.
144 Mbl. 1842, Nr. 184, Vier Wochen in Berlin.
145 Cotta an Sternberg am 1. Dezember 1858, Hs im SNM, CA.
146 Mbl. 1859, Nr. 51, 52, Zwischen XI und XII. Eine Postkutschen-
geschichte.
971
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965
aufmerksam zu machen139. Trotzdem war Sternberg eine
der merkwürdigsten Gestalten der Zeit zwischen den Re-
volutionen. Ein geborener Höfling, »kalt, fein, artig, zier-
lich«140, mit einer sonderbar barocken, skurrilen, sinnlichen
Phantasie und einem klaren, sicheren Stil begabt, war er
lange Jahre der Modeschriftsteller kat exochen und der
Hofschriftsteller des preußischen Junkertums. Die Blasiert-
heit seines Lesepublikums zwang sein ursprünglich schönes
Talent, dem selbst Fontane Bewunderung zollte, am Ende
in eine ihm wenig zuträgliche Richtung.
Auch hier war es Gustav Schwab, der den aus Liebhaberei
schriftstellernden Grafen, der Stuttgart besuchte, wider
seinen Willen sogar, in die Literatur einführte. Er brachte
das Manuskript der »Zerrissenen« an Cotta und sein erstes
Märchen in das Morgenblatt. »Die Zerrissenen« wurden ein
großer Erfolg, schon deshalb, weil sie den von Byron an-
geschlagenen Zeitton trafen. Von der Kritik wurde der
Roman Goethes »Wilhelm Meister«, Schillers »Geisterseher«
und Ticcks »Sternbald« an die Seite gestellt. Sternberg avan-
cierte zum Hauptmitarbeiter am Mörgenblatt. Als ein-
ziger unter den vielen trat er zu ihm in eine Art Angestell-
tenverhältnis. Gemäß einem Vertrage vom 15. und 18. Mai
1837 bezog er von der Cotta’sehen Buchhandlung einen
monatlichen Wechsel von 50 Gulden, den er mit Beiträgen
abverdienen mußte. Es versteht sich daher von selbst, daß
Sternberg während der Dauer dieses Vertrages von allen
Mitarbeitern die meisten Beiträge geliefert hat. Trotzdem
gab es in dieser Zeit immer wieder Differenzen mit der
Buchhandlung, weil Sternberg sein Soll nicht erfüllte.
Teils war Sternberg von sich aus im Rückstand, teils gelang-
te er unfreiwillig hinein, weil Hauff seine Beiträge aus
moralischen Rücksichten nicht abdrucken wollte. Stern-
bergs Rückstand wuchs mit den Jahren, da seine Beiträge
immer frivoler wurden und ein immer größerer Teil davon
abgelehnt werden mußte. So wurde der Vertrag 1847 ge-
löst141. 1850 riß die Beziehung Sternbergs vollständig ab.
1848 hatte er die Novelle »Royalisten« verfaßt, »zitternd vor
Erbitterung, bis in die Fingerspitzen angefiillt mit Wut gegen
dieses >Volk<, das es wagte, seine verruchte, seine teuflische
Widersetzlichkeit so weit zu treiben, gegen den Glanz der
Ritterlichkeit des Adels, ja gegen den Glanz der Majestät
139 Außerdem wurde eine Analyse seines Werkes versucht: Edgar
Weil: Alexander von Sternberg (Peter Alexander von Ungern-Stern-
berg). Ein Beitrag zur Literatur- und Kulturgeschichte des 19. Jahr-
hunderts, Berlin 1932 (Germanische Studien, Heft 130).
140 Nicolaus Lenau, 1837. Nicolaus Lenaus Lyrik, hrsg. von Heinrich
Bischoff, 2. Bd, Berlin 1920-21.
141 Als Verleger hatte sich Cotta bereits 1838 von ihm distanziert.
Trotzdem bot ihm die Buchhandlung als Entschädigung für die Lösung
des Vertrages ein Bogenhonorar von 50 f. an, ein Salaire, das außer ihm
kein anderer Mitarbeiter des Morgenblattes erhielt. Dies beweist, wie
hoch man ihn trotz seiner offensichtlichen Mängel als Mitarbeiter ein-
schätzte.
seine schmutzigen Fäuste in olmmächtiger Wut zu ballen«142.
Diese Novelle, aus welcher im Morgenblatt ein Bruchstück
im Vorabdruck erschien143, und welche Joachim Kühn als
»ein Meisterstück farbensicherer Tendenzschriftstellerei«
bezeiclmet, machte zusammen mit zwei weiteren Novellen
ultrakonservativen Gepräges Sternberg zum erklärten Dich-
ter der Kreuzzeitungspartei. Ihr flössen jetzt die Beiträge zu,
welche vorher das Morgenblatt erhalten hatte. Aber Stern-
bergs Glück schlug bald um. Seine ultraroyalistische Haltung,
die ihn während des ersten nachrevolutionären Rückschlags
groß gemacht hatte, stürzte ihn wieder, sobald normale
Verhältnisse eingetreten waren. Die Kritik, die er in seinen
No veilen an der nachgiebigen Haltung FriedrichWilhelms IV.
geübt hatte, ließ ihn bei dem Monarchen in Ungnade fallen.
Die Gesellschaft zog sich von ihm zurück. Arm und ver-
lassen verfaßte er 1855 seine »Erinnerungen«, zu denen die
ersten Aufzeichnungen bereits 1842 im Morgenblatt er-
schienen waren144 145 146. Die hierin gezeigte politische Reue hat
nicht zu seiner Rehabilitierung beigetragen, sondern viel-
mehr bewirkt, daß er vor der Öffentlichkeit ganz sein Ge-
sicht verlor und als gescheiterter Opportunist dastehen
mußte. In dieser Lage versuchte er 1858 die Verbindung
zum Morgenblatt wieder aufzunehmen. Die Cotta’sche
Buchhandlung, an die er sich wandte, antwortete freundlich,
wollte aber von einer Erneuerung des Vertrages mit Stern-
berg nichts wissen. Ein Manuskript, das er einsandte, schickte
ihm Cotta zurück mit dem abschlägigen Bescheid: Hauff
habe erklärt, »daß er bei den scrupulos ängstlichen Rück-
sichten die er bei diesem Blatte wegen der meist weiblichen
Leser desselben zu nehmen habe, ... sich nicht getraue
dasselbe in’s Morgenblatt aufzunehmen«143. Daß dies kein
Vorwand war, beweist, daß im Jahr darauf, 1859, doch noch
ein Beitrag von ihm erschien14®. Das Morgenblatt hatte
sich also nicht von der gesellschaftlichen Ächtung, in der
Sternberg in Preußen stand, beeinflussen lassen.
Es ist interessant zu erwägen, daß es ausgerechnet zwei
ultrakonservative, rcstaurationsfreundliche Schriftsteller wa-
ren, die im Morgenblatte die Hauptrolle spielten. Daß es
nicht ihre politische Gesinnung war, die ihnen zu dieser
Sonderstellung verhalf, ist kaum zu bezweifeln. Das Bei-
spiel Chezys zeigt, daß man sie nurmehr in Kauf nahm.
Aber indirekt war sie dennoch im Spiel: Die Restauration
begünstigte die Literatur, die sich mit Politik nichts zu
schaffen machte. Sternberg erwähnt und bedauert das in
seinen »Erinnerungsblättern«:
142 A. v. Sternberg, a.a.O., S. 275 f.
*43 Mbl. 1848, Nr. 252, Der achtzehnte März.
144 Mbl. 1842, Nr. 184, Vier Wochen in Berlin.
145 Cotta an Sternberg am 1. Dezember 1858, Hs im SNM, CA.
146 Mbl. 1859, Nr. 51, 52, Zwischen XI und XII. Eine Postkutschen-
geschichte.
971
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965