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Peek, Sabine
Cottas Morgenblatt für gebildete Stände: seine Entwicklung und Bedeutung unter der Redaktion der Brüder Hauff (1827-1865) — Frankfurt (am Main): Buchhändler-Vereinigung, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.53628#0047
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PEBK: COTTAS MORGENBLATT FÜR GEBILDETE STÄNDE

zeitig davon avertiert und Sie hatten mir auch noch in
Ihrem letzten Schreiben Abhülfe versprochen; allein un-
mittelbar darauf erschien das Blatt mit dem dummen Arti-
kel: Michel Angelo’s Traum283, der, wie man zu sagen
pflegt, dem Fasse den Boden ausschlug. Ich frage Sie selbst,
teuerster Freund, ob es nicht barer Unsinn ist, dergleichen
Artikel, worin offenbarer Indifferentismus aller Religionen,
ja nicht blos aller Religionen, sondern auch aller Nicht-
Religionen gepredigt und den Damen auf die Toilette
gelegt wird, in ein solches Unterhaltungsblatt aufzunehmen?
Wenn sich das Morgenblatt im Laufe des künftigen Jahres
rein erhält, so will ich mir alle Mühe geben, dann dessen
Readmission zu erwirken.«284
Es scheint, als habe das Morgenblatt weder im nächsten
noch im übernächsten Jahr den Vorstellungen Österreichs
zu entsprechen vermocht, denn die Readmission blieb aus.
Bei einer Reise nach Wien im Juni 1828 bat J. Fr. Cotta den
Grafen Sedlnitzky vergeblich um Freilassung des Morgen-
blattes. Auf ein erneutes, schriftliches Gesuch, das der
Verleger Anfang Oktober einreichte, nahm Pilat Ende des
Monats die offizielle Antwort vorweg, indem er schrieb:
»Es werden Ihnen gewiß von höherer Seite als der meinigen
Klagen... zukommen; so auch über das Morgenblatt, welches
unlängst Bcrangers Chansons (gegen die man sogar in Paris
gerichtlich prozediert) in ungemessenen Ausdrücken ge-
priesen, und selbst eine höchst anstößige Probe (Les Bo-
hemiens) davon geliefert hat. Dies sind schlechte Auspizien
für die von Ihnen nachgesuchte Zulassung des Morgen-
blattes.«285
Da der von Pilat beanstandete Aufsatz der Feder des
neuen Morgenblattredakteurs, Hermann Hauff, entstammte,
waren die Auspizien in der Tat schlecht. Das Morgenblatt
blieb bis 1841 in Österreich verboten.
1826, ein Jahr vor dem Redaktionsantritt Wilhelm Hauffs,
hatte das Morgenblatt Beiträge von rund 150 Mitarbeitern
gebracht. Unter diesen befanden sich viele gute, solide,
bereits historische Namen. Es erschienen zwei Beiträge von
Goethe286, der eine ein Vorabdruck von »Einzelnem« aus
dem in Vorbereitung befindlichen fünften Bande, drittes
Heft, »Über Kunst und Altertum«28?, der andere ein Ge-
legenheitsgedicht, »Dem glücklich bereichert Wieder-
kehrenden, ihrem Durchlauchtigsten Bruder Herren Karl
Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach Hoheit,
die verbundenen Brüder der Loge Amalia zu Weimar«288.
Der Jahrgang enthielt einen Aufsatz von Alexander v.
283 Mbl. 1824, Nr. 277, Beitrag von Hermann Matsen.
284 Am 30. Dezember 1824, Briefe an Cotta, a.a.O., Bd 2, S. 56.
283 Am 25. Oktober 1828, Briefe an Cotta, a.a.O., Bd 2, S. 61.
2 8 6 Dem Anteil Goethes und Schillers am Morgenblatt hat Frieda Höfle
ein eigenes Kapitel gewidmet, vgl. S. 128-139 ihrer Arbeit.
287 Nr. 221, 222.
288 Nr. 255.

Humboldt »Über die künftigen Verhältnisse von Europa
und Amerika«289 und einen von Börne, »Die Meneen«
betitelt, - ziemlich unbekannt geblieben und in den meisten
Ausgaben nicht abgedruckt - welcher die Sprache der
deutschen Gelehrsamkeit satirisch behandelt290. Er enthielt
einen Gedichtzyklus von Wilhelm Müller, »Erotische
Tändeleien«291 im Rokokostil, welcher später in der Ge-
samtausgabe aufgelöst und auf die zwei Zyklen »Berenice.
Ein erotischer Spaziergang« und »Nachlese zu den lyrischen
Reisen und epigrammatischen Spaziergängen« verteilt
wurde. Er enthielt die Gedichte von Platen »An die Diana
des Niesen«292, »Die beiden Rosen«293, »Florenz«294 und
ein lange verschollenes, in der historisch-kritischen Ge-
samtausgabe von Max Koch und Fritz Petzet als »verloren«
aufgeführtes Gedicht295 mit dem Titel »Die Bildhauer«296.
Gegen Platens Gewohnheit erschien das Gedicht anonym,
wahrscheinlich weil es ein dichterisches Bekenntnis enthielt.
Von Platen brachte das Morgenblatt außerdem die »Para-
base«297, ein Vorabdruck aus dem 1826 von Cotta verlegten
satirischen Lustspiel »Die verhängnisvolle Gabel«.
Ferner brachte der Jahrgang: Auszüge aus Rückerts
»Makamen des Hariri« im Vorabdruck298 und Gedichte

289 Nr. 33,34.
»9° Nr. 156-163.
-291 Nr. 70, 78, 80, 83, 95, 102, 105, 113, 118, 130, 140, 147, 151, 155,
158, 185.
292 Nr. 32.
293 Nr. 99.
294 Nr. 308.
293 Kenntnis besaß man von dem Gedicht durch Platens Tagebücher.
296 Nr. 176:
Wenn ich ein Künstler wäre, so möcht’ ich am liebsten ein Bildner
Sein, und des Meißels Griff führen in fertiger Hand.
Zwar ich liebe Gemälde wie keiner, ich liebe die Tonkunst;
Aber ich möchte doch nicht Maler und Musiker sein.
Denn kaum täte die Fläche genug mir, viel zu gestaltlos
Ist die Musiki ich bedarf einer entschiedenen Form.
Dann auch würden die mancherlei Töne, die mancherlei Farben
Irre mich machen, sie sind gar so gehäuft und gemischt;
Aber die Werke der Bildner, wie rings vollendet und einfach,
Ach und ihr Werkzeug ist nur ein geringer Bedarf!
Nichts als ein Stückchen Metall und ein Stein blos, Gips oder
Aber sie bilden daraus einen unsterblichen Gott. [Marmor,
Sinnlich wäre mein Auge genug, ich würde den Umriß
Scharf auffassen, die Welt bietet des Schönen genug:
Liebliche Knaben und Mädchen, ich würde zu Göttergestalten
Euch ausbilden, um mich sammeln den ganzen Olymp.
Zwar auch die Dichtkunst ist an Bedarf und Bedingungen einfach,
Ohne mechanische Kraft bringt sie die Seele hervor.
Doch nun gilt es zu fesseln die schwebenden, leichten Gedanken,
Festzubannen des Lieds glatten, entschlüpfenden Vers.
Ja - nun gilt es zu schreiben! O sagt mir, gibt es noch eine
Lästigere Auskunft, eine prosaischere?
Schreiben gehört fürwahr in die Staatskanzleien, die Dichtkunst,
Was hat sie mit Papier, Feder und Dinte zu tun?
Hätt’ ich den Meißel zu führen gelernt, so wär’ ich der Thor nicht,
Der mit dem Schulhandwerk pfuscht in die schöne Gestalt.
297 Nr. 225.
298 Der erste Teil desWerkes ist im Herbst 1826 bei Cotta erschienen.

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Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965
 
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