PEEK: COTTAS MORGENBLATT FÜR GEBILDETE STÄNDE
»Mauern von Zcitschriftenbänden« konfrontierte, schien
nach dem Einschnitt, den Frieda Höfle bereits mehr gesetzt
als gefunden hatte, eine zweite Zäsur beim Jahre 1848 zu
empfehlen. Aber die größere Ausführlichkeit, zu der mich
eine Verkürzung des behandelten Zeitraumes instand ge-
setzt hätte, war mir mit der Veruntreuung des historischen
Gesichtspunktes zu teuer erkauft. Trat mir doch das Morgen-
blatt als das Tagebuch einer Epoche entgegen, das in seiner
Gesamtheit überblickt und gedeutet sein wollte.
Diese Konzeption lückenlos und beweiskräftig darzu-
stellen, reichten die Unterlagen nicht immer aus. Oft genug
nahm ich Zuflucht zur Hypothese, damit ein »geistig Band«
entstand. Der Redaktionsbriefwechsel erwies sich als frag-
mentarisch. Welcher Redaktionsnachlaß wäre es nicht! Hier
aber fügte es sich, daß Verleger und Redakteur am gleichen
Orte wohnten und vieles, oft das Entscheidende, mündlich
besprachen. Es kam hinzu, daß der Redakteur Hermann
Hauff keinen »Namen« hatte, wie etwa die Redakteure Wie-
land und Schiller, auf deren Autographen sich die Sammler
stürzten und die uns deshalb erhalten sind. Ich mußte mich
damit abfinden, nur wenige Briefe Hauffs an die Mitarbeiter
zu Gesicht zu bekommen. Dies war nicht bloß vom Stand-
punkt der Redaktionsgeschichte ein Verlust. Schon Julius
Kiaiber, ein Neffe Hauffs, der ihm in den letzten Lebensjah-
ren bei der Redaktion half und nach seinem Tode das Blatt
interimistisch weiterführte, schätzte die Wirkung der Briefe,
die Hauff »mit einer Sachkenntnis, mit einer Feinheit des
psychologischen Taktes, mit einer Zartheit und Schonung«
zum Nutzen des literarischen Nachwuchses vier Jahrzehnte
hindurch verfaßte, höher ein als seine redaktionelle Tätigkeit
selbst. Schon er sprach den Wunsch aus, »diese an hundert
und aber hundert Personen verstreuten Briefe beisammen zu
haben«6.
Weit besser steht es um die Überlieferung der Briefe an
die Redaktion. .Der Redaktionsnachlaß Hauff-Kölle hat
die Leser-Zuschriften in einer sehr breiten aber ebenso
lückenhaften Auswahl bewahrt. Die Cotta’sche Handschrif-
tensammlung, die hauptsächlich Briefe von Verlagsautoren
enthält, hat - in bezug auf das Morgenblatt - eine schmalere
Basis, ist aber dafür annähernd vollständig. In der vorliegen-
den Arbeit mußten sich beide Quellen ergänzen.
Im ersten, personalgeschichtlichen Teil dieser Arbeit war
es nötig, unter mehr als tausend Mitarbeitern eine Auswahl
zu treffen. Dies geschah unter folgenden drei Gesichts-
punkten: Erstens mußte der Zeitpunkt der ersten redaktio-
nellen Anknüpfung in der Redaktiönsepoche der Brüder
Hauff liegen. Hätte ich Goethe, Platen, Rückert und andere
namhafte Mitarbeiter, die bei früherem Eintritt in das
Mitarbeiterverhältnis nach 1826 noch Beiträge lieferten,
zusätzlich behandeln wollen, so hätte ich auf den Re-
6 Mbl. 1865, Nr. 52, An die Leser.
daktionsbriefwechsel der Huber’schen, Haug’schen oder
sogar der Griineisen’schen Redaktionsära zurückgreifen
müssen und wäre ins Uferlose geraten.
Zweitens habe ich unter den Mitarbeiterzuschriften der
Redaktionsepoche der Hauffs die Briefe jener Autoren
ausgewählt, die mir am ergiebigsten schienen. Nur da,
wo die Bedeutung einzelner Mitarbeiter als Dichter ihre
Vernachlässigung unmöglich machte, wie unter I, 2 i), habe
ich mich auch mit mageren Unterlagen und dürftigen
Anhaltspunkten begnügt.
Drittens richtete sich die Auswahl nach der Eignung der
Mitarbeiter, die verschiedenen literarischen und politischen
Zeitströmungen zu repräsentieren. Dieser geistesgeschicht-
liche Gesichtspunkt sollte das Mitarbeiter-Kapitel über das
rein positivistische Niveau einer Sammlung biographi-
scher Skizzen emporheben und ihm eine bestimmte Funktion
in der Redaktionsgeschichte zuweisen. Die Uberparteilich-
keit, welche das Morgenblatt proklamierte, konnte dabei
auf die Probe gestellt werden.
Bei der Abfassung der Redaktionsgeschichte im engeren
Sinne habe ich mich bemüht, für die einzelnen redaktionellen
Maßnahmen, die ich feststellen konnte, auch die Motive
zu finden. Das war nicht immer leicht. Ein Abonnenten-
verzeichnis, das über die soziale Schichtung und die geo-
graphische Verteilung des Leserkreises hätte Auskunft geben
können, war nicht erhalten. Die für die Verbreitung des Blat-
tes zuständigen Einträge über Auflage und Absatz in den
Druckauftragsbüchern zeigten beträchtliche Lücken. Und
das, was an Daten vorhanden war, gab keineswegs die wah-
ren Verhältnisse wieder. Denn welche Aussagekraft besitzt
eine Auflageziffer für ein Jahrhundert, wo selbst die Dame
der Gesellschaft ihre tägliche Lektüre durch Lesezirkel und
Leihbibliotheken bezog?
Hinweise auf die Verbreitung des Blattes enthielt auch
die Anzahl der Mitarbeiter. Hierfür fand ich im Cotta-
Archiv eine zuverlässige Quelle: das Autorenregister zum
Morgenblatt. Da in ihm sämtliche Mitarbeiter mit ihren
Beiträgen aufgeführt sind, konnte ich für jeden einzelnen
feststellen, wie lange und in welchen Phasen er durch seine
Mitarbeit Interesse an der Zeitschrift bekundete. Durch
Addition der aktiven oder passiven Mitarbeiter für jedes
einzelne Jahr erhielt ich die Werte für eine Statistik, die ich
graphisch dargestellt habe. (Anhang 1, Tabelle 1.) So
ungefähr diese Werte auch sein mögen, weil sie als gegeben
voraussetzen, daß die Mitarbeiter auch in den passiven
Jahren, in denen sie keine Beiträge lieferten, dem Morgen-
blatt treu blieben, entstand doch aus ihnen ein Kurvenbild,
welches sowohl die populäre Richtung des Blattes als auch
den durch briefliche und schriftstellerische Zeugnisse und
durch die fragmentarischen Absatzziffern erzeugten Ein-
druckeinerabnehmenden publizistischen Wirkung bestätigt.
949
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965
»Mauern von Zcitschriftenbänden« konfrontierte, schien
nach dem Einschnitt, den Frieda Höfle bereits mehr gesetzt
als gefunden hatte, eine zweite Zäsur beim Jahre 1848 zu
empfehlen. Aber die größere Ausführlichkeit, zu der mich
eine Verkürzung des behandelten Zeitraumes instand ge-
setzt hätte, war mir mit der Veruntreuung des historischen
Gesichtspunktes zu teuer erkauft. Trat mir doch das Morgen-
blatt als das Tagebuch einer Epoche entgegen, das in seiner
Gesamtheit überblickt und gedeutet sein wollte.
Diese Konzeption lückenlos und beweiskräftig darzu-
stellen, reichten die Unterlagen nicht immer aus. Oft genug
nahm ich Zuflucht zur Hypothese, damit ein »geistig Band«
entstand. Der Redaktionsbriefwechsel erwies sich als frag-
mentarisch. Welcher Redaktionsnachlaß wäre es nicht! Hier
aber fügte es sich, daß Verleger und Redakteur am gleichen
Orte wohnten und vieles, oft das Entscheidende, mündlich
besprachen. Es kam hinzu, daß der Redakteur Hermann
Hauff keinen »Namen« hatte, wie etwa die Redakteure Wie-
land und Schiller, auf deren Autographen sich die Sammler
stürzten und die uns deshalb erhalten sind. Ich mußte mich
damit abfinden, nur wenige Briefe Hauffs an die Mitarbeiter
zu Gesicht zu bekommen. Dies war nicht bloß vom Stand-
punkt der Redaktionsgeschichte ein Verlust. Schon Julius
Kiaiber, ein Neffe Hauffs, der ihm in den letzten Lebensjah-
ren bei der Redaktion half und nach seinem Tode das Blatt
interimistisch weiterführte, schätzte die Wirkung der Briefe,
die Hauff »mit einer Sachkenntnis, mit einer Feinheit des
psychologischen Taktes, mit einer Zartheit und Schonung«
zum Nutzen des literarischen Nachwuchses vier Jahrzehnte
hindurch verfaßte, höher ein als seine redaktionelle Tätigkeit
selbst. Schon er sprach den Wunsch aus, »diese an hundert
und aber hundert Personen verstreuten Briefe beisammen zu
haben«6.
Weit besser steht es um die Überlieferung der Briefe an
die Redaktion. .Der Redaktionsnachlaß Hauff-Kölle hat
die Leser-Zuschriften in einer sehr breiten aber ebenso
lückenhaften Auswahl bewahrt. Die Cotta’sche Handschrif-
tensammlung, die hauptsächlich Briefe von Verlagsautoren
enthält, hat - in bezug auf das Morgenblatt - eine schmalere
Basis, ist aber dafür annähernd vollständig. In der vorliegen-
den Arbeit mußten sich beide Quellen ergänzen.
Im ersten, personalgeschichtlichen Teil dieser Arbeit war
es nötig, unter mehr als tausend Mitarbeitern eine Auswahl
zu treffen. Dies geschah unter folgenden drei Gesichts-
punkten: Erstens mußte der Zeitpunkt der ersten redaktio-
nellen Anknüpfung in der Redaktiönsepoche der Brüder
Hauff liegen. Hätte ich Goethe, Platen, Rückert und andere
namhafte Mitarbeiter, die bei früherem Eintritt in das
Mitarbeiterverhältnis nach 1826 noch Beiträge lieferten,
zusätzlich behandeln wollen, so hätte ich auf den Re-
6 Mbl. 1865, Nr. 52, An die Leser.
daktionsbriefwechsel der Huber’schen, Haug’schen oder
sogar der Griineisen’schen Redaktionsära zurückgreifen
müssen und wäre ins Uferlose geraten.
Zweitens habe ich unter den Mitarbeiterzuschriften der
Redaktionsepoche der Hauffs die Briefe jener Autoren
ausgewählt, die mir am ergiebigsten schienen. Nur da,
wo die Bedeutung einzelner Mitarbeiter als Dichter ihre
Vernachlässigung unmöglich machte, wie unter I, 2 i), habe
ich mich auch mit mageren Unterlagen und dürftigen
Anhaltspunkten begnügt.
Drittens richtete sich die Auswahl nach der Eignung der
Mitarbeiter, die verschiedenen literarischen und politischen
Zeitströmungen zu repräsentieren. Dieser geistesgeschicht-
liche Gesichtspunkt sollte das Mitarbeiter-Kapitel über das
rein positivistische Niveau einer Sammlung biographi-
scher Skizzen emporheben und ihm eine bestimmte Funktion
in der Redaktionsgeschichte zuweisen. Die Uberparteilich-
keit, welche das Morgenblatt proklamierte, konnte dabei
auf die Probe gestellt werden.
Bei der Abfassung der Redaktionsgeschichte im engeren
Sinne habe ich mich bemüht, für die einzelnen redaktionellen
Maßnahmen, die ich feststellen konnte, auch die Motive
zu finden. Das war nicht immer leicht. Ein Abonnenten-
verzeichnis, das über die soziale Schichtung und die geo-
graphische Verteilung des Leserkreises hätte Auskunft geben
können, war nicht erhalten. Die für die Verbreitung des Blat-
tes zuständigen Einträge über Auflage und Absatz in den
Druckauftragsbüchern zeigten beträchtliche Lücken. Und
das, was an Daten vorhanden war, gab keineswegs die wah-
ren Verhältnisse wieder. Denn welche Aussagekraft besitzt
eine Auflageziffer für ein Jahrhundert, wo selbst die Dame
der Gesellschaft ihre tägliche Lektüre durch Lesezirkel und
Leihbibliotheken bezog?
Hinweise auf die Verbreitung des Blattes enthielt auch
die Anzahl der Mitarbeiter. Hierfür fand ich im Cotta-
Archiv eine zuverlässige Quelle: das Autorenregister zum
Morgenblatt. Da in ihm sämtliche Mitarbeiter mit ihren
Beiträgen aufgeführt sind, konnte ich für jeden einzelnen
feststellen, wie lange und in welchen Phasen er durch seine
Mitarbeit Interesse an der Zeitschrift bekundete. Durch
Addition der aktiven oder passiven Mitarbeiter für jedes
einzelne Jahr erhielt ich die Werte für eine Statistik, die ich
graphisch dargestellt habe. (Anhang 1, Tabelle 1.) So
ungefähr diese Werte auch sein mögen, weil sie als gegeben
voraussetzen, daß die Mitarbeiter auch in den passiven
Jahren, in denen sie keine Beiträge lieferten, dem Morgen-
blatt treu blieben, entstand doch aus ihnen ein Kurvenbild,
welches sowohl die populäre Richtung des Blattes als auch
den durch briefliche und schriftstellerische Zeugnisse und
durch die fragmentarischen Absatzziffern erzeugten Ein-
druckeinerabnehmenden publizistischen Wirkung bestätigt.
949
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965