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Petersen, Eugen [Hrsg.]
Die Marcus-Säule auf Piazza Colonna in Rom: [Textband] — München, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.9327#0039
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Der Marcomanen-Krieg

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seinen jüngeren Adoptivbruder und Schwiegersohn Lucius mit völlig gleicher Macht-
vollkommenheit sich an die Seite stellte und diesem dann die Führung des Krieges am
Euphrat überliess. Aber eben dieser Krieg hatte gezeigt, dass der Bruder wqhL ein flotter
Offizier, aber keineswegs ein Feldherr war. Als dann der Krieg im Norden begann,
wo der Feldherr sehr notwendig und das Lagerleben nicht erfreulich war, hatte Marcus
Mühe, ihn dahin auch nur in Bewegung zu bringen. Er musste sich entschliessen,
wenigstens mit ihm ins Lager abzugehen und sah sich dort genötigt, gegen vorzeitige
Rückkehr Einspruch zu thun. Es war vielleicht eine Erleichterung der schweren Auf-
gabe, dass Lucius während der ersten Kriegsjahre (Anfang 169) am Schlagfiuss starb.

Kaiser Marcus übernahm dann den Oberbefehl allein. Ein Feldherr ist er
schwerlich gewesen und hat sich auch nicht dafür gehalten; bezeichnend ist es, dass,
nach dem fehlgeschlagenen Versuch mit dem Bruder, er seine verwitwete Tochter
unmittelbar nach Verus' Tode dem Tiberius Claudius Pompeianus vermählte, einem
ahnenlosen Manne von syrischer Herkunft, nicht zur Freude der Damen des Kaiser-
hauses, aber zum Nutzen des Staates. Pompeianus war sein tüchtigster Offizier und
hat dem Marcus dieselben Dienste geleistet wie einst Agrippa dem Augustus. Aber
den Feldherrnpflichten entzog Marcus darum sich keineswegs. Die so schwierige wie
notwendige Verstärkung der Streitkräfte ist sein Werk gewesen und sein Werk auch,
dass der rechte Mann auf den rechten Platz gestellt ward; vor allen Dingen aber war sein
Werk die einheitliche Führung des viel zersplitterten, wohl wenigstens ebenso sehr staats-
männischen wie militärischen Kriegswerks. So ist es ihm beschieden gewesen, fast
seine ganze achtzehnjährige Regierungszeit als Reichsfeldherr im Lager zu verbringen.

Wenn Kaiser Marcus nach seiner Neigung sicher nicht, und nach seinen
Leistungen schwerlich, ein Militär genannt werden kann, so war er dafür ein ganzer
Mann und ein pflichttreuer Herrscher. Er ist der einzige unter den römischen Kaisern,
dessen Herz offen vor uns liegt. Seine »Selbstermahnungen«, die uns erhalten sind, sind
dem Anschein nach Auszüge aus seinen Tagebüchern, nach einem zusammenfassenden
Rückblick auf sein Leben und sein Wollen und Thun, welcher als erstes Buch gilt, auf-
gezeichnet zunächst im Quadenlager (Buch 2), dann im Lager von Carnuntum bei Wien
(Buch 3—12) während der letzten Kriegsjahre und, wie es scheint, nach seinem Tode
mit sorgfältiger Beseitigung alles Persönlichen veröffentlicht. Die Wissenschaft ist
durch diese Betrachtungen nicht gefördert worden; was der unfreie kleinasiatische
Philosoph, als dessen Schüler er sich bekennt, gedacht und gelehrt hatte, wieder-
holt ohne Selbständigkeit und Tiefe, aber in lebhaftem Nachempfinden und inniger
Aneignung der römische Feldherr. Ein selbstloser Glaube an die Vollkommenheit
der göttlichen Weltordnung und Weltregierung, möge sie nun dem einzelnen Menschen
die persönliche Fortdauer nach dem Tode gewähren oder nicht; die Forderung zu leben,
»rein, ruhig, zum Abscheiden stets bereit und willig dem Schicksal sich fügend«; die,Aus- 3, 16.
nutzung der philosophischen Schulweisheit wesentlich für ernste Menschenliebe und
praktische Pflichterfüllung — das ist die Summe jenes Lagerjournals, und wenn die
Weisen der Welt nicht an dem gemessen würden, was sie lehren, sondern an dem,
was sie demgemäss thun, so würden nicht viele Philosophen diesem gekrönten ver-
glichen werden dürfen. »Kaiser Marcus«, sagt ein Zeitgenosse von ihm nach seinem Gaienus 17, 18.
Tode, »war ein billiger, masshaltender, milder, sanftmütiger Mann«, und dies ist
 
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