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Pfeilstücker, Suse
Das Wesen der Plastik — Führer zur Kunst, Band 20: Esslingen a.N.: Paul Neff Verlag (Max Schreiber), 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.67363#0044
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Wirkung bei der Laokoongruppe (Abb. 16), obgleich sie ein viel-
gestaltiges, höchstbewegtes Massengebilde ist. Da, wo häßliche
Lücken und Winkel entstehen würden, — so ganz rechts vom Bein
bis zur Schulter des älteren Sohnes — muß der Gewand mit-
helfen; auch die Schlangen schaffen eine Verbindung von
Körper zu Körper. Vielfach hat man die Laokoongruppe so
ergänzt, daß der Arm des jüngsten Sohnes zum Himmel ge-
reckt ist. Das gibt aber eine häßliche Lücke. Man muß
sich vielmehr den Arm leicht über dem Kopf gebogen denken,
nur so wird eine schöne Geschlossenheit erreicht.
Betrachten wir die Laokoongruppe aus einiger Entfernung,
so verschwimmen die inneren Linien immer mehr, immer deut-
licher tritt die Silhouette hervor und erscheint uns fast als eine
geometrische Figur, etwa ein umgelegtes Trapez. Auch
anderen Plastiken liegen geometrische Figuren zu Grunde; so
bildet Veit Stoß’ Kruzifixus ein gleichschenkliges Dreieck,
Hildebrands „Jüngling mit der Kugel“ ein rechtwinkliges
Dreieck, wobei der rechte Winkel durch die kugelwägende Hand
gegeben wird. Für solche geometrischen Formen hat der
Mensch immer große Vorliebe gehabt, angefangen von jenen
längst verklungenen Tagen der Steinzeit, wo man Waffen und
Geräte mühsam mit Quadraten, Zickzackbändern und Kreuzen
zierte und der darauf folgenden Bronzezeit mit ihrem Kreis-und
Ellipsenschmuck bis hin in unser Jahrhundert. Niemand hat
aber die strengen Formen so zart anzuwenden verstanden wie
Raffael auf seinen Madonnenbildern, etwa der „Belle Jardiniere.“
Die klärende und beruhigende Wirkung der geo-
metrischen Form hat auch der Plastiker erkannt; ja, es ist,
als ob diese Formen für seine unbewegte starre Masse von
selbst erstehen.
Wenn die geschlossene Silhouette, die bis zur Erzielung
einer geometrischen Figur gesteigert werden kann, einerseits
die Schönheit der Außenlinien hervorbringt, so hilft auch noch
ein Zweites, scheinbar Entgegengesetztes dazu. Damit die
Geschlossenheit nicht zur toten Langeweile hinabsinkt, müssen
die Außenlinien innerhalb der durch die Geschlossenheit be-
dingten Grenzen gelöst, rhythmisch bewegt, sein. Betrachten
 
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