Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfeilstücker, Suse
Das Wesen der Plastik — Führer zur Kunst, Band 20: Esslingen a.N.: Paul Neff Verlag (Max Schreiber), 1922

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.67363#0072
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Farbe in der Plastik.
Als um die Wende des vierzehnten Jahrhunderts die alten
marmornen Götterstatuen, die so lange unter Schutt und
wucherndem Unkraut verborgen lagen, wieder an das Tages-
licht gebracht wurden, da strömte das Volk von allen Seiten
herbei, um die sonderbaren Wunderwerke anzuschauen. Fast
scheu trat man von diesen schlohweißen Gestalten zurück, die
so greifbar lebendig schienen und ein geheimnisvolles Lächeln
auf den Lippen, eine merkwürdige fremde Sehnsucht in den
leeren Augen trugen. Mancher ahnungsvolle Geist wurde von
der sinnenfrohen Schönheit einer längst verklungenen Zeit er-
griffen, und ein Verlangen erwachte nach heiterer Lebensbe-
jahung, nach körperlicher Vervollkommnung und geistiger
Unabhängigkeit. Während erschrockene Diener der Kirche das
Volk vor den unterweltentstiegenen „weißen Teufeln“ warnten,
eilten die Künstler beglückt herbei und beschauten froh die
Wunderwerke der Antike; sie maßen mit Zirkel und Lot sorg-
fältig alle Formen ab, befühlten die glatte Oberfläche und
prüften das Spiel der Muskeln. Nach emsigem Lernen schufen
sie selbst herrliche Marmorskulpturen, die zwar den Stempel
der neuen Zeit auf ihren Denkerstirnen trugen, aber in vielem
den alten Griechenstatuen ähnlich sahen; auch schimmerten
sie in schneeiger Weiße wie die erdentstiegenen Vor-
bilder.
Geschichte der Farbe in der Plastik.
Und dennoch waren die griechischen Statuen nicht weiß,
sondern farbig. Eine sonnenbeschienene grellweiße Figur hätte
 
Annotationen