der Begriff der Sünde überhaupt eine Rolle spielt
in Brendels Vorstellungsleben, so fände er in
dieser geschlechtlichen Zweieinigkeit des Gottes-
sohnes ein entlastendes Symbol —dieser hat aus
gleicher Not eine souveräne Rettung gefunden.
Ein solcher Gedankenunterbau, gewiß nicht in
Form logischer Schlußreihen, sondern mehr in
freiem Spiel der affektiv am stärksten betonten
Vorstellungen, kann wohl kaum als gekünstelte
intellektuelle Konstruktion abgewiesen werden,
sondern darf, da er sich eng an die objektiv ge-
gebenen bildlichen und wörtlichen Äußerungen
des Schnitzers hält, einen hohen Grad von Evi-
denz für sich in Anspruch nehmen. Diese rein
psychologische Ausdeutung der Zwitterphantasie
wäre nun noch durch eine Umschau in der Ge-
schichte des menschlichen Geistes zu ergänzen28
und gewänne erst dadurch ihre Bedeutung (vgl.
S. 317 f.).
Hier seien noch einige Schnitzwerke angereiht,
in denen die Doppelgeschlechtlichkeit wieder als
inhaltliches Hauptmotiv wirkt. Abb. 89 (Holz,
Fall 17. Abb. 89. 70 h. , „ .. L • • i j
Doppelfigur, mann-weiblich (Holz), hellgrün gebeizt, mit schwarzem und rotem,
gelbem und blauem Detail) schildert Brendel
so: „Mann und Frau; sie hat den Maßstab zur Hand und führt ihn
zum Mund, hat Bärenfüße, trägt das rote Kreuz vor dem Kopf; er hat den
Hobel, trägt Kehlkopfkanüle und hat auch Bärenfüße." Die Doppelfigur hat
zwei eher reliefartig flach behandelte Fronten. Die Seitenflächen treten in der
Bedeutung ganz zurück; so kann von einem Profil gar nicht die Rede sein. Man
sieht von der Seite einfach fast gerade, kaum eingekerbte Linien als Repräsen-
tanten der Frontflächen. Wo die gegebene Form durch ihre Kurve die stetige
Verbindung von Seiten- und Vorderfläche in realistischem Sinne herbeiführen
könnte, ist dieser Möglichkeit ganz entschieden ein Riegel vorgeschoben,
indem z. B. der Ellenbogen ganz einfach bis in die virtuelle Kante des ursprüng-
lichen Zylindervolumens vorgedrängt und in schematischer rechtwinkliger
Knickung gegeben ist. Die Betonung der Genitalien, formal eher zurück-
150
in Brendels Vorstellungsleben, so fände er in
dieser geschlechtlichen Zweieinigkeit des Gottes-
sohnes ein entlastendes Symbol —dieser hat aus
gleicher Not eine souveräne Rettung gefunden.
Ein solcher Gedankenunterbau, gewiß nicht in
Form logischer Schlußreihen, sondern mehr in
freiem Spiel der affektiv am stärksten betonten
Vorstellungen, kann wohl kaum als gekünstelte
intellektuelle Konstruktion abgewiesen werden,
sondern darf, da er sich eng an die objektiv ge-
gebenen bildlichen und wörtlichen Äußerungen
des Schnitzers hält, einen hohen Grad von Evi-
denz für sich in Anspruch nehmen. Diese rein
psychologische Ausdeutung der Zwitterphantasie
wäre nun noch durch eine Umschau in der Ge-
schichte des menschlichen Geistes zu ergänzen28
und gewänne erst dadurch ihre Bedeutung (vgl.
S. 317 f.).
Hier seien noch einige Schnitzwerke angereiht,
in denen die Doppelgeschlechtlichkeit wieder als
inhaltliches Hauptmotiv wirkt. Abb. 89 (Holz,
Fall 17. Abb. 89. 70 h. , „ .. L • • i j
Doppelfigur, mann-weiblich (Holz), hellgrün gebeizt, mit schwarzem und rotem,
gelbem und blauem Detail) schildert Brendel
so: „Mann und Frau; sie hat den Maßstab zur Hand und führt ihn
zum Mund, hat Bärenfüße, trägt das rote Kreuz vor dem Kopf; er hat den
Hobel, trägt Kehlkopfkanüle und hat auch Bärenfüße." Die Doppelfigur hat
zwei eher reliefartig flach behandelte Fronten. Die Seitenflächen treten in der
Bedeutung ganz zurück; so kann von einem Profil gar nicht die Rede sein. Man
sieht von der Seite einfach fast gerade, kaum eingekerbte Linien als Repräsen-
tanten der Frontflächen. Wo die gegebene Form durch ihre Kurve die stetige
Verbindung von Seiten- und Vorderfläche in realistischem Sinne herbeiführen
könnte, ist dieser Möglichkeit ganz entschieden ein Riegel vorgeschoben,
indem z. B. der Ellenbogen ganz einfach bis in die virtuelle Kante des ursprüng-
lichen Zylindervolumens vorgedrängt und in schematischer rechtwinkliger
Knickung gegeben ist. Die Betonung der Genitalien, formal eher zurück-
150